Große sinfonische Violinkonzerte dieser Länge sind rar. Oder anders gesagt: Wer eine konzertant strukturierte Sinfonie schreibt, sollte etwas zu sagen haben. Bei einer Spielzeit von mehr als einer Stunde wird man daher hoffen dürfen, dass der Komponist nicht nur große (melodische) Linien entwirft, sondern auch musikalisches Material stringent durcharbeitet, also aus der Substanz des Tonsatzes heraus eine innere Dramaturgie entwickelt. Um es kurz zu machen: Die Merlin-Sinfonie (2021) des britischen Komponisten Nigel Clarke (* 1960) bleibt in dieser Hinsicht vieles schuldig.
Entstanden ist das Werk auf Anregung des Solisten Peter Sheppard Skærved in der großen Zeit des Schweigens; die Solo-Violine verbindet darin insgesamt fünf mit Tapestrys (Wandteppiche) überschriebene Sätze. Sie erzählen die mythische Geschichte von Merlin in einer Art, die die Idee der sinfonischen Dichtung ad absurdum führt: Man ahnt eher kinematographische Bilder, als dass man eine Form hört. Wer dann einen Blick ins Booklet wirft, kommt um ein Schmunzeln nicht herum: «Clarke is renowned for his virtuosic writing using an uncompromisingly contemporary language which speaks to audiences.» Mit einer «kompromisslos zeitgenössischen Sprache» assoziiere ich ganz andere Klängeund Entwürfe. Am Ende einer müden Stunde steht (trotz der souveränen musikalischen Leistungen) der Eindruck eines Werkes, das nach einer eigenen Bebilderung ruft. So aber bleibt es ein Filmscore ohne Film.
Nigel Clarke. The Prophecies of Merlin (2021)
Peter Sheppard Skærved (Violine), ORF Vienna Radio Symphony Orchestra, Neil Thomson
Naxos 8.579127 (2022)
- Mikhail Pochekin / Dvořák
- Sueye Park / Isang Yun
- Peter Sheppard Skærved / Nigel Clarke
- Sonoko Miriam Welde / Bruch & Co.
- Christian Tetzlaff / Brahms & Berg