21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Karol Rathaus / Daniel Wnukowski

Karol Rathaus / Daniel Wnukowski
Karol Rathaus / Daniel Wnukowski
«Mein Problem ist das des ignorierten unabhängigen und individuellen Komponisten. Mein Name ist bekannt, aber niemand führt meine Werke auf.» So lautet der Stoßseufzer eines Komponisten, der darüber hinaus trotz aller Bemühungen an einem bestimmten Punkt der Weltgeschichte seine alte Heimat verlor und keine neue fand. Karol Rathaus (1895–1954) schrieb die Worte nicht etwa vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, sondern in den «Staaten» im Jahre 1950. Ein Blick in die biographischen Rahmendaten geben Klarheit – und erinnern in manchen Punkten an die gegenwärtige Situation vieler anderer Menschen: 1895 in Ternopol (Westukraine) geboren, sah sich Rathaus als patriotischer Österreicher – obwohl in der Familie offenbar polnisch gesprochen wurde (Deutsch war Schulsprache). Den österreichischen Pass behielt Rathaus bis 1938, als das Land «angeschlossen» wurde; als Bürger jüdischer Herkunft blieb ihm allerdings die deutsche Staatsbürgerschaft versagt. 1933 ging Rathaus nach Paris, 1934 nach London und 1938 nach New York. Hier allerdings herrschte nach dem Krieg eine antikommunistische Hexenjagd …

Leicht ist es daher nachzuvollziehen, dass das kompositorische Schaffen von Karol Rathaus unter die Räder des unaufhaltsamen Mahlwerks der Zeitgeschichte geriet. Es handelt sich freilich um Werke, die in Ton und Gestalt nicht auf äußere Sensation angelegt sind oder einem der zeitgenössischen Hypes folgen. Dazu klingen sie viel zu dunkel und streifen in Teilen die schwer auszulotende Welt des Grotesken. In keinem einzigen Takt findet sich irgendeine Form der Anbiederung. Zugleich entzieht sich die Tonsprache von Karol Rathaus einer einfachen Schubladisierung. Manches klingt mir nach einem wohl noch nicht näher beschriebenen osteuropäischen Expressionismus, anderes bezieht hie und da jazzige Tanzrhythmen oder die in den 1920er Jahren angesagte Motorik mit ein. Das betrifft die Klavierstücke op. 9 (1924) im Kleinen wie auch die dreisätzige Sonate op. 8 (1924/27) im Großen (mit einem eigenwilligen Presto in der Mitte). Supplement sind hingegen die Stücke aus «Der letzte Pierrot» (1926/27) wie auch die drei Nummern aus der Filmmusik zu «Der Mörder Dimitri Karamasoff». Sie vervollständigen das Bild, zumal es sich bei diesem Album um die erste Folge einer Gesamteinspielung Klaviermusik von Karol Rathaus handelt. Sie ist bei Daniel Wnukowski, der sich hörbar für Komponist und Œuvre engagiert, in besten Händen.

Karol Rathaus. Piano Music Vol.1
Fünf Klavierstücke op. 9 (1924); Klaviersonate Nr. 2 op. 8 (1924/27); Trois Mazurkas op. 24 (1928); Zwei Stücke aus «Der letzte Pierrot» (1926/27); Auszüge aus der Filmmusik zu «Der Mörder Dimitri Karamasoff» (1931)
Daniel Wnukowski (Klavier)

Toccata TOCC 0511 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #096 – Klavierstücke