5. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Petridēs / Requiem

Petridēs / Requiem
Petridēs / Requiem
Wer im Netz nach Petros Petridis sucht, der wird fündig. Entweder bei den Metadaten zu diesem Album – oder bei einem Mittelfeldspieler vom FC Hellas Krefeld. Wer allerdings im MGG nachschlägt, wird auf die Schreibweise Petros Petridēs verwiesen, die wiederum in der mitunter seltsamen Welt des WWW quantitativ deutlich unterlegen ist. Dass man von seinen Werken bisher kaum etwas vernommen hat, ist wohl symptomatisch für die griechische Musik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in den 1920er Jahren durch politische Krisen überschattet wurde. Ohnehin gingen zu jener Zeit zahlreiche angehende Komponisten nach Frankreich oder Deutschland, um dort eine eher internationale Unterweisung auf der Höhe der Zeit zu erfahren. Auch Petros Petridēs (1892–1977) wandelte zwischen Paris und Athen. Nachdem er ein Jura-Studium abgebrochen hatte, wandte er sich autodidaktisch der Musik zu.

Das Doppelalbum mit noch unveröffentlichten Aufnahmen aus dem Jahre 2006 (die 1989 produzierte Einspielung des Concerto grosso erschien erstmals beim griechischen Label Lyra) gibt einen interessanten Ausschnitt aus dem nicht sehr umfangreichen Œuvre wieder. Chronologisch beginnt der Überblick mit eben jenem Concerto grosso für Blasorchester und Pauken (1929), das vor allem im herrlichen Largo linear wie modal gestaltet ist und mit dem verklärten Solo des Englischhorns einen «griechischen» Ton aufweist. Hingegen ist die 1944/45 entstandene Sinfonie Nr. 3 ganz im neoklassizistischen Stil gehalten und erinnert mich vielfach an Carl Nielsen (der ja ein Freund der griechischen Kultur war). Hauptwerk ist indes das Requiem für den Kaiser Konstantion Palaiologos, mit dessen Tod 1453 bei der Verteidigung Konstantinopels das Byzantinische (Oströmische) Reich unterging. Die zwischen 1953 und 1964 entstandene Komposition wirkt freilich mit ihrer ganz eigenen archaisch-romantischen Harmonik seltsam entzeitlicht, wozu auch die teilweise fugierte Führung der Stimmen und der liturgische Text beitragen. Innerhalb der (kleinen) Gruppe von derartigen Requiem-Vertonungen im 20. Jahrhundert stellt die Partitur auf jeden Fall eine bemerkenswerte Facette dar. Die Interpretationen sind ordentlich, dringen aber kaum zum Kern der Werke vor. Gerade weil einige der Kompositionen von Petridēs als verloren oder verschollen gelistet werden, vermisse ich eine Erläuterung, was sich hinter der Bemerkung «All works restored and edited by Byron Fidetzis (b. 1945)» genau verbirgt.

Petros Petridēs. Requiem for the Emperor Constantine Palaiologos (1953/64) (ergänzt von Byron Fidetzis); Sinfonie Nr. 3 d-Moll «Parisian» (1944/45) (ergänzt von Byron Fidetzis); Concerto grosso op. 11 für Bläser und Pauken (1929) (ergänzt von Byron Fidetzis)
Sophia Kyanidou (Sopran), Theodora Baka (Mezzo), Angelo Simos (Tenor), Christoforos Stamboglis (Bass), Golden Voices of Ruse, Sofia Metropolitan Golden Voices, Sofia Amadeus Orchestra, Nikolaos Mantzaros Wind Ensemble, Byron Fidetzis

Naxos 8.574354-55 (1989, 2006)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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