Das Private ist politisch und das Politische ist privat. Sagte man mal und so verhält man sich auch, denn diese Hohlformel ist kaum zu wiederlegen. Der Mensch reagiert auf seine Umwelt und die Umwelt reagiert auf ihre Menschen. In der Kunst reagiert die musikalische Sphäre auf die Gesellschaft im Zusammenhang ihrer Naturgeschichte als solche. Adorno nannte es fait social. «Nimmt man ernsthaft die Kunst als fait social, dann kann es auch der Soziologie nicht gleichgültig sein, was in der Kunst gesellschaftlich richtig, was »›an sich selbst wahr‹« ist, weil diese Wahrheit, oder Unwahrheit, von der Stellung nicht sich ablösen läßt, welche das ästhetische Gefüge jeweils zur Gesellschaft bezieht. Wollte Soziologie nichts damit zu schaffen haben, so verfehlte sie keineswegs bloß ein Musikalisches, sondern den gesellschaftlichen Kern der Musik selbst.» (Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, (vgl. GS 10.2, Kulturkritik und Gesellschaft I/II: Schlußwort zu einer Kontroverse über Kunstsoziologie, S. 814). Es darf also auch mal tief geschürft werden.
Warum so ein kruder Vorspann? Weil Johannes Dickbauer als Violinist und Komponist mit seiner Formation «J.D.Hive» rein ideenmäßig den Bogen spannt zu weltpolitischen Themen wie der Klimakatastrophe (Race Against 1.5: «Neben den Dingen die ich zu Hause tun kann, etwa ökologisch bauen, Ernährung aus biologischen und nachhaltigen Produkten aus der Region etc., sehe ich den Titel als einen kleinen Beitrag, der zum Denken anregen soll ») bis zum gestörten privaten Abendmahl (Isn’t Dinner Lovely Tonight: «Der Song zeigt die Geschäftigkeit bei uns daheim, aber wir versuchen’s gelassen zu sehen»). Wenn er dann aber zugleich sagt: «Musik bedeutet für mich, ein Gefühl hervorzurufen und die Seele zu erreichen. Ich möchte das Publikum auf eine Reise mitnehmen, ohne zu viele Vorgaben zu machen», dann ist mal wieder alles gemeint und mitgemeint und gesagt und getan.
Die Musik dieses Quartetts reflektiert das ganz sicher auch, aber nicht so sehr in einer Form von Abbildung mit handelsüblichen Floskeln aus dem Vokabular der westlich-musikalischen Konventionen – dies aber auch. Die Musik kann letztlich nicht von wo kommen, wo keiner von uns und den Musikern steht. Doch kann man, dafür ist man ja auch zu viert, sich gegenseitig Funken schlagen, um auf diese Weise etwas herzustellen, was anders nicht in die Welt käme. Und so ist diese Musik dann schließlich auch utopisch: Nachbild und Vorschein.
Ästhetische Reichhaltigkeit klebt sich nicht fest und daher ist auch dieses Quartett in den Momenten am besten, wo es sich des Arrangements bemächtigt und aus den Systemen in denen diese notiert sind herausspringt. Dazu braucht es ein Team wie das mit Sebastian Schneider am Klavier, Andreas Waelti am Kontrabass und András Dés an den Perkussionsinstrumenten. Ich liebe es, wenn, wie in «Lost Caravan» ab ca. 5:29, die harmonische Grundbewegung zugleich fest wie schwebend wird und den thematischen Raum auffaltet. Politisch werden dann die Sinne, wenn deren Feinfühligkeit aktiviert wird.
J.D.Hive – Isn’t Dinner Lovely Tonight [2022]
- Johannes Dickbauer: violin, compositions
- Sebastian Schneider: piano
- Andreas Waelti: double bass
- András Dés: percussion
Traumton CD: 4709 (VÖ 16.09.2022)