21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Halka (1848)

Halka (1848)
Halka (1848)
Nicht immer muss ein Opern-Standard auch die beste Fassung des Werkes sein. Denn anders als bei Sinfonien oder Streichquartetten (oder überhaupt bei Instrumentalmusik) eröffnen sich im Bereich der Kompositionen für die Bühne schon genrespezifisch weitaus mehr (Un-)Möglichkeiten. Beispielsweise wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts munter Pasteten (pasticci) als «best of» gebacken, in anderen Fällen Arien einfach ausgetauscht, um die Stimme der Sänger:innen optimal zur Geltung zu bringen. Seit dem 20. Jahrhundert greift das Regietheater bisweilen in die Partitur ein. Hinzu kommen all jene Fälle, in denen die Komponisten selbst nochmals Hand anlegen und verschiedene Versionen erstellen – mit Kürzungen, Umstellungen, Hinzufügungen. So auch Stanisław Moniuszko, der seine ursprünglich zweiaktig angelegte Halka für die Warschauer Aufführung 1858 auf vier Akte erweiterte. Fatal: Die einstige dramaturgische Dichte ging dabei verloren, viele der nachträglich eingefügten Nummern etablierten sich hingegen rasch beim Publikum und im bürgerlichen Salon.

Insofern handelt es sich bei der vorliegenden Einspielung der Fassung von 1848 um eine richtige Rarität. So (oder ähnlich) muss die Oper wohl einst in Vilnius erklungen sein – nicht etwa im Theater, sondern im Wohnzimmer von Moniuszkos Schwiegereltern: «Unsere guten Orchestermusiker, Kirchensänger und einige Amateure haben sich in einer Gruppe von etwa 40 Menschen zusammengetan und mich bis zum Schluss begeistert und stolz unterstützt, wobei ihre Kenntnisse des Werks mit der Anzahl der Proben zunahm» – schrieb der Komponist, der zu jener Zeit im Alter von knapp 30 Jahren seinen Lebensunterhalt noch als Organist verdiente. Anders als in der späteren Fassung handelt es sich bei der frühen Halka nicht primär um ein nationales Drama, sondern eher um eine Sozialtragödie, doch auch dies verhinderte für zehn Jahre den Erfolg auf der großen Bühne. Und so überrascht diese sorgfältig produzierte Aufnahme aus Kraków in jeder Weise: zunächst mit einer Spielzeit von nur 80 statt der üblichen 120 Minuten, mit einer unglaublich frischen Interpretation (auch und besonders in den Chören), einem trefflich besetzten und in sich stimmigen Ensemble sowie mit der auf Originalinstrumenten sehr klar artikulierenden Capella Cracoviensis unter Jan Tomasz Adamus. Diese Einspielung hat nichts vom gelegentlich anzutreffenden Schlendrian an sich und überzeugt auch akustisch. Ein weiterer Pluspunkt: das beigefügte deutschsprachige Libretto.

Stanislaw Moniuszko. Halka (Oper in 2 Akten)
Natalia Rubiś (Sopran), Michalina Bienkiewicz (Sopran), Sebastian Szumski (Bariton), Przemyslaw Borys (Tenor), Przemyslaw Józef Balka (Bass), Marek Opaska (Bass), Capella Cracoviensis, Jan Tomasz Adamus

deutsche harmonia mundi 19439900642 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #073 – Moniuszko 150