STRUKTUREN! Heissa. Jetzt gehts aber los, jetzt schlägts gleich 13. Dabei, wenn man sich mal in die Zeiten der 40er bis 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückbegibt, war nicht nur die Neue Musik durchzogen mit derlei Termini, sondern tatsächlich auch der Jazz. Aber «Strukturen» 2022? Da weiß man, was man hat, da weiß man, was man bekommt.
Wirklich. Ja. Nein! Liest man sich durch den Waschzettel zu dieser CD, fallen Namen wie Olivier Messiaen, Nikolai Roslavetz, Paul Bley, Alexander Skrjabin, J Dilla, Frederic Chopin und Franz Liszt. Zack, der Rahmen ist gesetzt. Man muss also ganz genau hinhören bei dieser Musik, da darf man nicht schummeln mit einem Nebenbei zum Nagelfeilen. Okay, das ist ein Anspruch, den eben auch der Titel der CD setzt. Lohnt sich aber dieser Aufwand?
Ja. Nein. Ja. Aber. Nun. Warum? Gewiss ist das alles mit großer Liebe zum Detail gemacht, viele Ideen durchziehen die sieben Stücke und die CD. Man ist am Nachvollziehen und als Hörende:r am Nachkämpfen der kompositorischen Gedanken, die Hornung da in Gang setzt und die das Trio insgesamt dann formt. Das strengt an und bereitet gewiss auch manche Freude. Also alles am Ende doch gut?
Da muss man tiefer greifen und die vielleicht ganz dumme Frage sich gestatten: Für wen macht man das, also solche Musik? Für sich, ist klar. Doch was steht für uns alle da zur Debatte? Kann man an der musikalischen Verhandlung teilnehmen, auch wenn man «nur» zuhört?
Im Waschzettel steht, es gehe um intensive Musik:
«Die Intensität der Musik rühre nämlich auch daher, dass er sich viel ‹Schmutz von der Seele› geschrieben habe. ‹Die Zeit war relativ kompliziert. Die Musik reflektiert ein Spannungsverhältnis von Schmerz und Euphorie, in dem ich mich damals bewegt habe und das ich letztlich in eine positive Energie verwandeln konnte›, sagt Hornung. ‹Zum Umgang mit starken Gefühlen gehörte letztlich auch die Frage, wie ich mir Strukturen für mein zukünftiges Leben schaffe.›»
Schaut mal hier also einem Selbstfindungsprozess zu? So wie es in der «ausgezeichneten» Ich-Literatur der Gegenwart vielfach der Fall ist? Das ist leider wohl auch Teil des Problems eher insgesamt –ja, interessant, schon, doch was noch?
Das klingt jetzt so, als sei die Platte ein Reinfall. Das ist sie nicht. Sie ist wunderbar gearbeitet, äußerst delikate Klang- und Rhythmus-Kombinationen voller witziger Einfälle und ein dauernder Strom aus innovativen Formideen. Fast aber eben überbordend das alles. Daher empfehle ich, die Platte von hinten weg zu hören. Das letzte Stück «Leer» ist entzückend berührend und – alles andere als leer – reizend und reichhaltig.
Hornung Trio – Strukturen [2022]
- Ludwig Hornung: piano, compositions
- Phil Donkin: double bass
- Bernd Oezsevim: drums
Traumton Records 4708