21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Franck 200 / Mélodie française

Franck 200 / Mélodie française
Franck 200 / Mélodie française
Noch immer ist diesseits des Rheins viel zu wenig bekannt über das französische Lied des 19. Jahrhunderts – und zwar sowohl über die «mélodie» als auch über «le lied». Eine der auf den ersten Blick kaum wahrgenommenen Lücken schließt dieses Doppelalbum mit den entsprechenden Kompositionen von César Franck. Und fast möchte es ausrufen: Wo anders als beim Label Bru Zane sollte solch eine Produktion erscheinen? Und dennoch: Die etwas weiträumig, zumindest indirekt wirkende Einspielung aus dem venezianischen Palazzetto erscheint mir nicht ganz angemessen für eine Gattung, die im Salon zuhause war. Es ist also leider (wie zu oft) eine Produktion, die akustisch den Kompositionen wie auch deren soziologischem Ort nicht ganz gerecht wird.

Andererseits bietet Bru Zane im Booklet wie gewohnt eine einen umfassenden Essay, deren substanzieller Tiefgang in dieser Art inzwischen eine Ausnahme geworden ist. Einerseits werden mit dieser Kompletteinspielung der Lieder und Duette insgesamt mehr als vier Jahrzehnte durchmessen, andererseits bin ich doch überrascht, das selbst Franck sich dem Genre so zurückhaltend gewidmet hat. Und so handelt es sich bei diesem Album nicht nur um eine Repertoireergänzung, sondern um eine substanzielle Erweiterung des bisher recht begrenzten Blickes auf César Franck, den Jubilar. Vorzüglich begleitet von Jeff Cohen entwickeln Tassis Christoyannis und Véronique Gens ihre ganz eigene Sicht auf die Kleinode: Christoyannis mit einem hellen, recht flexiblen Bariton, Véronique Gens hingegen mit einem dunkel timbrierten, eher dramatisch ausgerichteten Sopran – was bei den sechs Duetten sich nicht immer glücklich fügt. Dennoch: eine Produktion, die aufhorchen lässt und die Kenntnis über das Schaffen Francks beträchtlich erweitert.

César Franck. Les Cloches du soir (1889); Nocturne (1884); Le Vase brisé (1879); Roses et Papillons (ca. 1860); Le Mariage des roses (ca. 1873); L’Emir de Bengador (ca. 1847); Ninon (1851); Lied (ca. 1874); Robin Gray (1843); S’il est un charmant gazon (1847?); S’il est un charmant gazon (1857); Aimer (1849); Six Duos (1888); L’Ange et l’Enfant (1846); Passez! passez toujours! (ca. 1860); Souvenance (1846); Pour les victimes (1887); Paris (1870); Patria (1871); Les Trois Exilés (1848); À cette terre où l’on ploie sa tente (1847); Le Sylphe (1843; La Procession (1889)
Tassis Christoyannis (Bariton), Véronique Gens (Sopran), Jeff Cohen (Klavier)

Bru Zane BZ 2003 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #071 – César Franck 200