8. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

1908 / Valentina Lisitsa

1908 / Valentina Lisitsa
1908 / Valentina Lisitsa
Wie politisch darf oder muss Kunst sein? Wie politisch Musik oder ihre Interpreten? Der lange Blick zurück in die Geschichte lehrt dabei einiges, spätestens seit der französischen Revolution: Die Kunst, die bis heute blieb, steht auf der Seite der Entrechteten, der Schwachen, der Angegriffenen. Umjubelt wurde Wellingtons Sieg im tönenden Gemälde von Beethoven, ebenso das berühmte 1812 von Peter Tschaikowsky – in beiden Fällen ging es gegen den machtgierigen, Europa aus den Angeln hebenden Napoleon und seine Truppen. Im 20. Jahrhundert sind es dann Kompositionen, die ungerechte Kriege oder Anschläge zum Thema haben: von Schostakowitschs 7. Sinfonie über Coplands Fanfare bis hin zu den Werken um 9/11. Es geht dabei immer um die Opfer, nicht um die Täter.

Warum dieser Vorspann zu einem Album, das zwei Werke aus dem Jahr 1908 in den Mittelpunkt rückt? Wer ansatzweise im Internet recherchiert, wird sehen, was gemeint ist. Zwar gilt in unseren Breiten das hohe Gut der Meinungs- und Redefreiheit, aber eben auch die Vertragsfreiheit von Orchestern und Konzert-veranstaltern. Wer selbst Position bezieht, sollte dies anderen nicht verwehren und ein vermeintliches Recht nur für sich allein beanspruchen. Da helfen kein #hashtag und auch nicht die angeblich millionenfachen youtube-Aufrufe bloß anständiger Interpretationen (wie etwas die des Mozart’schen d-Moll Konzerts mit dem Freiburger Mozart-Orchester, das mir bisher nicht über den Weg gelaufen ist). – Nun aber noch zum Jahr 1908 mit zwei Werken, die beide literarisch inspiriert wurden. Wie immer bei Valentina Lisitsa ist die Technik virtuos, der Klang präsent, kräftig, trocken, verstörend nah und orchestral. Die Akustik ist dadurch per se einnehmend; die erdrückende Plakativität nimmt den Werken aber ihre Zwischentöne und lässt kaum Platz für eigenes Nachsinnen über das Gehörte – wie im realen Leben. Die Aufnahme entstand 2017 und wurde am 25. Februar 2022 vom französischen Label naïve veröffentlich.

1908
Maurice Ravel. Gaspard de la nuit; Sergei Rachmaninow, Sonate Nr. 1 d-Moll op. 28
Valentina Lisitsa (Klavier)

Naïve V 7483 SM 308 (2017)

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