21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Tonhalle-Orchester Zürich

Tonhalle-Orchester Zürich
Tonhalle-Orchester Zürich
Ein Album, das aus einem Gast-Aufenthalt heraus entstand: In der Saison 2021/22 probte und konzertierte John Adams als «Artist in Residence» mit dem Tonhalle-Orchester Zürich. Die daraus geborene Einspielung dirigierte dann aber doch Chefdirigent Paavo Järvi, während sich Adams mit seinen Partituren in der Hand hörend und beratend ins Parkett zurückzog (die offenbar inspirierende Atmosphäre ist durch die im Booklet beigegebenen Fotos dokumentiert). Die Auswahl der vier Werke gibt einen guten Überblick über 20 Jahre Schaffen – und auch aus einem anderen Grund scheint mir die CD außergewöhnlich: Sie portraitiert den Komponisten und sein Œuvre abseits mächtiger Boxen und Ersteinspielungen mit einem konzentrierten Blick ins Repertoire und eröffnet damit auch andere interpretatorische Sichtweisen.

Dies betrifft vor allem den Klang. Viel zu sehr hat man bei Adams den smarten Sound der San Francisco Symphony im Ohr, mit dem die Werke der 1980er Jahre ihren Siegeszug antraten. Weit mehr als 30 Jahre Orchesterkultur später und von einem zentraleuropäischen, geschulten Klangkörper gespielt, verändern sich auch die Kompositionen. Schon lange ist das in ihnen präsente Lebensgefühl historisch geworden, die Musik selbst will nun gedeutet werden. Dies geschieht auf faszinierend klare und nüchterne Weise, im Fall von Slonimsky’s Earbox fast in Form eines Schweizer Uhrwerks (was den Strawinsky-Anklängen zugute kommt). Paradoxerweise nimmt dieser Zugang dem frühen Tromba Lontana das zwar streng gebundene, doch eigentlich freie Pulsieren (die repetierten Glockenschläge wirken hier wie ein ausgebremster Short Ride). – Obgleich sie auktorial sanktioniert ist, stellt sich angesichts der Einspielung allerdings die Frage, ob die Kompositionen nicht doch als Spiegel ihrer Zeit zu verstehen sind. Auch die virtuosen Ives-Reflexionen können darauf keine Antwort geben.

John Adams. Slonimsky’s Earbox (1995); My Father Knew Charles Ives (2003); Tromba Lontana (1985/86); Lollapalooza (1995)
Tonhalle-Orchester Zürich, Paavo Järvi

Alpha ALP 874 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 4 in Michael Kubes HörBar #067 – John Adams 75