Der mühsame Weg zur Sinfonie bei Brahms ist legendär. Dass auf diesem steinigen Pfad in den Jahren 1857 bis 1859 in Detmold gleich zwei veritable Serenaden entstanden, wird oft genug übersehen – aus verschiedenen Gründen. Da wäre zunächst – so simpel es klingt – die Benennung der Werke als «Serenaden», die nach «Nachtmusik» (so Brahms selbst) klingt. Geradezu kurios mutet heute die nur zwischenzeitliche Bezeichnung der späteren Umarbeitung von op. 11 als «Sinfonie-Serenade» an. Das Werk zählt zudem sechs Sätze, das op. 16 immerhin fünf. Ferner fallen die beiden Werke in eine Zeit, die bei Brahms im aktuellen Repertoire allenfalls durch das (ebenfalls umgearbeitete) Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15 präsent ist. Sie alle erzählen von einem Komponisten, der eine Entwicklung sucht zwischen dem Hype um Schumanns «Neue Bahnen» und einer sehr eigenen Annäherung an die großen Gattungen und ihre Tradition (dass andere Tonschöpfer weitaus weniger Skrupel zeigten, steht auf einem anderen Blatt).
Es mag aber auch die Besetzung sein, die zu einer deutlichen Unterrepräsentation der beiden Serenaden führt. Bei der Nr. 2 in A-Dur fehlen die Violinen (was der Partitur neben der melodischen Präsenz der Holzbläser ein wundervoll dunkles wie mildes Timbre verleiht), bei der Nr. 1 in D-Dur hat Brahms selbst das ursprüngliche Ensemble bei einer Revision ins Große gehoben (nun gar mit vier Hörnern, zwei Trompeten und Pauken). Die originale Besetzung, in der das Werk am 28. März 1959 in Hamburg erklang, erzählt indes eine andere Geschichte: mit Flöte, zwei Klarinetten, Fagott, Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass lugt abermals Beethovens Septett um die Ecke… Erhalten hat sich von dieser Fassung nichts, so dass die Rekonstruktion von Jorge Rotter gleichermaßen Mutmaßung wie Experiment bleiben muss. – Für das sich immer wieder verjüngende Linos-Ensemble sind daher diese beiden Werke ein «must have»: Kaum ein anderes Ensemble kann derzeit auf eine so flexible Besetzung wie breiteste Erfahrung schauen. Und so gelingt auch die Solo-Besetzung der Streicher in op. 16 in vorzüglicher Weise. Interpretiert werden die Serenaden als Kammermusik (und eben nicht als verkapptes sinfonisches Repertoire), was den Werken schon beim ersten Hören sehr gut bekommt. Dennoch: den Brahms aus jenen Jahren muss man sich «erarbeiten»; er macht es einem nicht leicht, beschenkt aber reichlich.
Johannes Brahms. Serenade Nr. 1 D-Dur op. 11 (rekonstruierte Originalversion von Jorge Rotter), Serenade Nr. 2 A-Dur op. 16
Linos Ensemble
Capriccio C 5447 (2020)