Gleich der Beginn des vierten Konzerts in G-Dur enttäuscht. Zwar nimmt Gianluca Cascioli gleich den ersten Akkord mit einer quasi improvisierten Geste, der eröffnete Horizont erfüllt indes nicht die Erwartungen: Die Repetitionen schwimmen durchs Pedal. Der nachfolgende Streicher-Einsatz soll diesen Beginn offenbar aufgreifen, verflüchtigt sich aber so sehr, dass man erst Takte später mit dem Crescendo im Werk ankommt. Die nachfolgenden Akzente wirken umso schärfer zugespitzt, wie auch der gelegentliche Rückfall ins vernebelte Legato. Geradezu ruppig wird der zweite Satz vom Ensemble Resonanz angegangen – und bricht klanglich. Dass diese polare Sicht Riccardo Minasis interpretatorischen Zugang markiert, zeigt schließlich auch das Finale. Ob damit aber etwas für das Werk gewonnen ist? Etwas ausgewogener erscheint mir das auf dem Cover als «no. 6» angekündigte Konzert in D-Dur, bei dem es sich allerdings weder um eine spektakuläre Neuentdeckung noch um eine spekulative Rekonstruktion handelt, sondern schlichtweg um Beethovens eigene Bearbeitung des Soloparts seines Violinkonzerts op. 61. Was an diesem Album gleichwohl fasziniert, sind Klang und (im allgemeinen Sinne) Artikulation. Dass der Solopart auf einem modernen Flügel so differenziert gespielt und in das Orchester eingebettet wird, ist faszinierend. Die Zeit der aufführungspraktischen Glaubenskämpfe dürfte ohnehin überwunden sein. Viel stärker steht inzwischen (wieder) die Musik und ihre adäquate interpretatorische Deutung im Vordergrund. – Eingespielt wurde das Album in der Gesamtschule Bremen-Ost; hoffentlich haben bei dieser Gelegenheit auch die Schüler eine musikalische Live-Erfahrung machen dürfen.
Ludwig van Beethoven. Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58; Klavierkonzert «Nr. 6» D-Dur op. 61a
Gianluca Cascioli (Klavier), Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi
harmonia mundi HMM902 422 (2019)
- Benda / Shelley
- Wölfl / Veljkovič
- Mozart / Pashchenko
- Mozart / Richard-Hamelin
- Beethoven / Gianluca Cascioli