6. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Beethoven / Gianluca Cascioli

Beethoven / Gianluca Cascioli
Beethoven / Gianluca Cascioli
Während viele Labels bereits zum weitgehend ungehört gebliebenen Beethoven-Jahr 2020 ihre vollen Archive geöffnet hatten – Boxen über Boxen türmten sich auf –, geht das französische Label harmonia mundi einen eigenen Weg: Es beschreitet den Pilgerpfad zwischen den Jubiläen 2020 und 2027 mit einem langen Atem und aktuellen Neuveröffentlichungen unterschiedlichster Couleur, die am Ende wohl ein großes Ganzes ergeben sollen. Und so erscheinen in schöner Gleichmäßigkeit Einspielungen, die nicht nur die Hauptwerke des Bonner Genies präsentieren, sondern auch Zeitgenossen und Nebenwege. An vielen diesen Alben kann man wirklich seine Freude haben, gelegentlich aber darf man sich an ihnen reiben. So auch in diesem Fall.

Gleich der Beginn des vierten Konzerts in G-Dur enttäuscht. Zwar nimmt Gianluca Cascioli gleich den ersten Akkord mit einer quasi improvisierten Geste, der eröffnete Horizont erfüllt indes nicht die Erwartungen: Die Repetitionen schwimmen durchs Pedal. Der nachfolgende Streicher-Einsatz soll diesen Beginn offenbar aufgreifen, verflüchtigt sich aber so sehr, dass man erst Takte später mit dem Crescendo im Werk ankommt. Die nachfolgenden Akzente wirken umso schärfer zugespitzt, wie auch der gelegentliche Rückfall ins vernebelte Legato. Geradezu ruppig wird der zweite Satz vom Ensemble Resonanz angegangen – und bricht klanglich. Dass diese polare Sicht Riccardo Minasis interpretatorischen Zugang markiert, zeigt schließlich auch das Finale. Ob damit aber etwas für das Werk gewonnen ist? Etwas ausgewogener erscheint mir das auf dem Cover als «no. 6» angekündigte Konzert in D-Dur, bei dem es sich allerdings weder um eine spektakuläre Neuentdeckung noch um eine spekulative Rekonstruktion handelt, sondern schlichtweg um Beethovens eigene Bearbeitung des Soloparts seines Violinkonzerts op. 61. Was an diesem Album gleichwohl fasziniert, sind Klang und (im allgemeinen Sinne) Artikulation. Dass der Solopart auf einem modernen Flügel so differenziert gespielt und in das Orchester eingebettet wird, ist faszinierend. Die Zeit der aufführungspraktischen Glaubenskämpfe dürfte ohnehin überwunden sein. Viel stärker steht inzwischen (wieder) die Musik und ihre adäquate interpretatorische Deutung im Vordergrund. – Eingespielt wurde das Album in der Gesamtschule Bremen-Ost; hoffentlich haben bei dieser Gelegenheit auch die Schüler eine musikalische Live-Erfahrung machen dürfen.

Ludwig van Beethoven. Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58; Klavierkonzert «Nr. 6» D-Dur op. 61a
Gianluca Cascioli (Klavier), Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi

harmonia mundi HMM902 422 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #053 – Klavierkonzerte