21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Leo Fall / Die Rose von Stambul

Leo Fall / Die Rose von Stambul
Leo Fall / Die Rose von Stambul
Vermutlich wäre Die Rose von Stambul ohne den Ersten Weltkrieg ein Welterfolg geworden. So aber stand der knapp zweistündigen Operette von Leo Fall (1873–1925) das Bühnenverbot deutschsprachiger Kompositionen (und deren Überset-zung) entgegen. Andererseits wäre die Rose ohne die Geschehnisse der beiden Kriegsjahre möglicherweise gar nicht in dieser Weise entstanden: Abgesehen von allen Exotismen spielte das Osmanische Reich als Verbündeter eine wichtige Rolle, zumal nach dem Verkauf zweier im Mittelmeer eingeschlossener Kreuzer an Konstantinopel. Die SMS Breslau wurde dabei zur Midili – so lautet dann auch der keineswegs mehr zufällig anmutende Name der Soubrettenrolle. Das von Julius Brammer und Alfred Grünwald stammende Libretto schaute mit selbstbewussten, belesenen und nach Westeuropa blickenden jungen türkischen Frauen indes in die Zukunft der sich bald am Bosporus formierenden säkularen Republik. Mehr als 100 Jahre später gehören die in Verse verpackten Visionen noch immer nicht ins Museum…

Was Ulf Schirmer mit einem bestens besetzten Ensemble und dem Münchner Rundfunkorchester bereits 2014 im Prinzregententheater auf die Bühne brachte, war tatsächlich wert, als Gesamteinspielung veröffentlicht zu werden. Dass dies beim Label cpo geschah, ist nur konsequent – hat man doch in Georgsmarienhütte schon länger die Operette als eine fast vergessene und wirklich wieder zu entdeckende Gattung «auf dem Schirm». Und so geht es hier auch nicht um Zuckerwatte, um allzu rührende Melodien (wie noch in den 1970er Jahren omnipräsent), sondern um eine wirkliche Realisation des Musikalischen. Rasch wird dabei klar, warum das Werk große Erfolge feierte und auch noch später in den berüchtigten «Querschnitten» Berücksichtigung fand: Leo Fall hat es verstanden, die exotischen Klänge glänzend für die Operette einzufangen und zu verarbeiten, auch wenn diese auf britischer Seite (mit einem eher malerischen, weltoffenen Ton) durch Albert Ketèlbey eher in die Geschichte der «Light Music» einging. Bedenkt man aber die Uraufführung der Rose im Theater an der Wien, wird man aus dieser Perspektive schlichtweg sein pures Hörvergnügen haben.

Leo Fall. Die Rose von Stambul (1916)
Matthias Klink (Tenor), Kristiane Kaiser (Sopran), Andreas Winkler (Tenor), Magdalena Hinterdobler (Sopran), Eleonora Vacchi (Mezzo), Christof Hartkopf (Bariton), Hanne Weber (Alt), Michael Glantschnig (Sprechrolle), Wolfgang Klose (Bass), Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Ulf Schirmer

cpo 555 036-2 (2014)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #049 – Operetten