21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Schubert – Liszt / Can Çakmur

Schubert – Liszt / Can Çakmur
Schubert – Liszt / Can Çakmur

Mutig und ein Statement. So lässt sich dieses fulminante Album von Can Çakmur beschreiben. Nach seinem Debüt bei BIS als Gewinner des Ersten Preises bei der Hamamatsu International Piano Competition 2018 – einer Produktion, die wiederum ihrerseits vielfach ausgezeichnet wurde – folgt der 1997 in Ankara geborene Pianist keinem ausgetretenen Pfad, sondern widmet sich einem seiner persönlichen Favoriten: der Lizst’schen Transkription von Franz Schuberts Schwanengesang, einem der phantastischsten Zyklen der Musikgeschichte, ohne dass es sich um einen wirklichen Zyklus handelt. Und so wie Liszt bereits die Liederfolge veränderte, so ordnet auch Can Çakmur anhand der emotionalen Dichte neu. Dies zu diskutieren, ist im digitalen Zeitalter von CD und Streaming allerdings obsolet: Jeder vermag sich heute seine eigenes dramaturgisches Konzept in einer Playlist zusammenstellen.

Was vielmehr zählt, ist die faszinierende musikalische Realisation des von Liszt so vielgestaltig erweiterten und interpretierten Notentextes hin zu einer eigenständigen Komposition. Wie Liszt hier Schuberts Lieder mit Verdichtungen und neu hinzugefügten Stimmen kommentiert und weiterdenkt, bietet an sich schon reichlich faszinierende Momente. Hinzu kommt Çakmurs packender und technisch perfekter Zugriff, der die vordergründige Bravour der Piècen vergessen macht: Hier wird gestaltet und genau abgewogen, darüber hinaus gelingt es ihm, ungeahnte Klangräume und Farben auf dem verwendeten Shigeru Kawai Concert Grand Piano entstehen zu lassen – ein Instrument, das im Diskant nicht spitz zuläuft, in der Tiefe nicht breit wird, vor allem aber in der Mittellage seinen Charakter entfaltet. Dies kommt auch den Valses oubliées zugute, einem jener seltsamen zurückblickenden und auflösenden Alterswerke. Mit Çan Cakmur ist ein neuer Stern am Pianist*innenhimmel aufgegangen, der (so die wohl berechtigte Hoffnung) nicht im turbulenten Konzertbetrieb verglüht. Möge er lange und so licht leuchten.


Franz Liszt: Schwanengesang – 14 Lieder von Franz Schubert S 560; Quartre Valses oubliées S 215

Can Çakmur (Klavier)

BIS 2530 (2020)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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