Was wäre die Oper ohne glühende Rachegelüste? Höchste Dramatik verspricht in diesem Sinne jedenfalls Giuseppe Verdis Ernani. Auf der Bühne aktuell nicht so präsent wie andere seiner Werke (vom etwas früheren Nabucco bis zum 50 Jahre jüngeren Falstaff), steht die Partitur ganz unter dem Eindruck des Belcanto, weist aber auch fantastische Chorszenen auf. Im Zentrum des Librettos steht der Kampf um Elvira, um die gleich dreifach geworben wird: Don Carlo (der später zum Kaiser gekrönt wird und gnädig vergibt), der Graf de Silva (ihr älterer Onkel, der das traditionelle Gastrecht vor den Verrat stellt) und Ernani (der verschwörerische Graf Don Juan von Aragon), der am Ende nurmehr zwischen Dolch und Gift zu wählen hat. Eigentliche Verliererin ist am Ende Elvira mit ihren vielfach betrogenen und enttäuschten Gefühlen.
Aufgeteilt in vier Akte, die vor allem szenisch von Terzetten und groß angelegten Finali getragen werden, durchmisst Verdi raschen Schrittes das auf einem Drama von Victor Hugo basierende Libretto (auch wenn Uwe Schweikert in seinem Booklet-Essay auf dramaturgisch retardierende Momente hinweist). Es ist die Kraft der Gesangslinien und Harmonien, die alles mit höchster Intensität nach vorne treibt. Interpretatorisch setzen Marcus Bosch und die Cappella Aquileia bei ihrem auf lange Sicht hin angelegten Verdi-Projekt den schon vor einigen Jahren eingeschlagenen Weg konsequent fort: Nicht nur das Ensemble agiert stimmlich beeindruckend ausgewogen und musikalisch inspiriert auf hohem Niveau, auch der im Alltag vielfach nur „mitlaufende“ Orchesterpart erscheint im Detail ausgehört und mit einer gestalterischen Freiheit, wie man sie eben nur nach ausreichenden Proben erlangt. Es wird in den kommenden Jahren absehbar noch viel Gutes von diesem Zyklus der Heidenheimer Opernfestspiele zu hören sein. – Nur Beckmesser werden sich daran stoßen, dass bei der Track-Liste im Booklet die notwendige Akt-Einteilung fehlt.
Giuseppe Verdi: Ernani (1844)
Sung Kyu Park (Tenor), Marian Pop (Bariton), Pavel Kudinov (Bass), Leah Gordon (Sopran), Stephanie Henke (Sopran), Christoph Wittmann (Tenor), Lancelot Nomura (Bass), Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn, Cappella Aquileia, Marcus BoschCoviello COV 91925 (2019)
- Carl Maria von Weber: Euryanthe (Trinks, ORF Radio-Symphonieorchester Wien)
- Franz Schubert: Sakontala (Kammerphilharmonie Bremen, Frieder Bernius)
- Giuseppe Verdi: Ernani (Cappella Aquileia, Marcus Bosch)
- Max Bruch: Loreley (Münchner Rundfunkorchester, Stefan Blunier)
- Camille Saint-Saëns: Le Timbre d’argent (Les Siècles, Francois-Xavier Roth)