Mit dieser Neuauflage wird eine der aufregendsten Einspielungen der um 1360 entstandenen Messe de Notre Dame von Guillaume de Machaut wieder auf CD verfügbar. Diese Messe gilt als die erste vierstimmige Vertonung des Ordinariums, die nachweislich von einem einzigen Komponisten stammt – zudem von einem, der sich auch schon als solcher verstand und reflektierte. Machaut (ca. 1300–1377) war, abgesichert durch eine Domherrenpfründe, im modernen Sinne freischaffend tätig und ließ seine Werke in gleich mehreren Handschriften gesammelt überliefern – ein ebenfalls sehr moderner, enzyklopädischer Zug, der dazu beitrug, dass sich überhaupt etwas erhalten hat.
Die Einspielung versetzt die der Hl. Maria gewidmete Messe mit entsprechenden Gregorianischen Chorälen in einen liturgischen Kontext (Lichtmess, 2. Februar). Tatsächlich entfaltet sich im Wechsel mit der Einstimmigkeit die Klangpracht besonders eindrucksvoll. Sprachlos staunen darf man indes über die Interpretation des Ensembles Organum, die das Werk nicht im Stil der späteren Renaissance glättet und schönt, sondern die Linien und Harmonien durch zahlreiche Verzierungen (auch im mikrotonalen Bereich) höchst lebendig erscheinen lässt. Das Werk fällt damit aus der Zeit und wirkt am Ende unglaublich modern. Zudem wird hinsichtlich der Anzahl der Sänger wie auch bei den vorgeschriebenen Wiederholungen im Kyrie absatzweise ganz bewusst differenziert. Ein Meilenstein, der kaum kontemplativ entspannt, sondern auch nach 25 Jahren noch immer elektrisiert. Machaut als fulminante Avantgarde.
Guillaume de Machaut: Messe de Notre Dame
Ensemble Organum, Marcel Pérèsharmonia mundi HMX 2901590 (1995)
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