Die Frage, welchen Einakter man an einem Opernabend Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg zur Seite stellen könnte, hat eine schlüssige Antwort mehr erhalten. Bei dem gesuchten Gegenstück handelt es sich um Péter Eötvös’ im Jahre 2015 uraufgeführtes Drama Senza Sangue (Ohne Blut) – in der unrevidierten Version mit identischer Bártok-Besetzung (jedoch ohne Orgel), mit sieben Szenen und einer wiederkehrenden motivischen Zweiton-Reverenz. Im Gegensatz zum Blaubart zeigt sich allerdings ein wenig Licht am Ende des Tunnels – die Möglichkeit jedenfalls dafür. Zudem ist bei Eötvös die «Sage nicht alt», sondern spielt weit in die Zukunft hinein. Denn so wie die Dinge in zahllosen Ländern dieser Welt stehen, wird das auf die gleichnamige Novelle von Alessandro Baricco zurückgehende Libretto auch noch lange aktuell bleiben.
Erzählt wird die Geschichte von Nina, die in jungen Jahren während eines Bürgerkriegs unter einer Falltür das Massaker an ihrer Familie überlebte. Mit den Jahren hat sie sich an zweien der Täter gerächt, nun, nach etwa einem halben Jahrhundert, offenbart sie sich dem dritten Täter, der zwar den Vater tötete, sie indes verschonte. Im Rückblick zeigt sich, wie das Opfer aber auch der Täter für den Rest des Leben gezeichnet ist. Eine psychologische Studie, an deren Ende vielleicht ein gemeinsamer Neuanfang steht – im Spannungsfeld zwischen Rache und Gnade. Eötvös lässt das mit seiner kraftvollen, alles andere als polyphon durchgewirkten Musik offen, mit der er in 45 Minuten die Türen zu menschlichen Abgründen aufstößt. Der Live-Mitschnitt einer konzertanten Aufführung vom 10. Februar 2018 (Nationaler Konzertsaal im Müpa Budapest) zeichnet sich durch hervorragende sängerische Leistungen aus (Viktória Vizin, Jordan Shanahan), darf aber auch unter der Leitung des Komponisten auktorialen Anspruch anmelden. Dass kein düstrer Blaubart folgt, ist fraglos zu bedauern.
Péter Eötvös. Senza Sangue (2014/15)
Viktória Vizin, Jordan Shanahan, Hungarian National Philharmonic Orchestra, Peter Eötvös
BMC CD 278 (2018)