Eine „Erkundung ohne Zweck“, der es im besten Fall gelänge „das Ohr zu transzendieren“, wünschte sich Giorgio Netti hinsichtlich „necessità d’interrogare il cielo“ (1996/99) und das ist mehr als nur ein frommer Wunsch geblieben.
Netti entwickelte diese abendfüllende Saxophonexpedition in vier größeren Stationen, benannt nach Sentenzen aus den Chaldäischen Orakeln, in enger Zusammenarbeit mit Marcus Weiss. Nun gibt es eine Neueinspielung von Patrick Stadler, die in ihrer Intimität und Konzentration vom ersten bis zum letzten Takt fesselt. Nettis mikroskopische Klangerkundungen beruhen auf intensiver Mikrophonierung diffiziler Spieltechniken, die sich erstaunlich fern experimenteller Abnutzungserscheinungen bewegen.
Die Multiphonics, Flageoletts, schnarrenden Luftgeräusche und röhrenden Vibrationen schweifen als mehrstimmige Mischwesen in unbekannten Räumen umher, sind Saxophon und wieder kein Saxophon. Ob es allerdings irgendjemanden interessiert, ob dem Booklet-Autor beim Hören in der Badewanne ein Kopfhörer ins Wasser fällt oder er sich vor einem Konzert in Jaffa noch schnell den Sonnenbrand eincremt, sei dahingestellt.
- Zuerst erschienen in der nmz 2019/06 unter dem Titel:
Multiple Identitäten – Neue CDs neuer Musik, vorgestellt von Dirk Wieschollek
Giorgio Netti: Necessità d’Interrogare Il Cielo
Patrick Stadler (Saxophon)
Kairos