Der Urwald. Unendliches Grün. So scheint es jedenfalls (noch). Nun ist die Hörbar nicht der Ort, um über tropische Edelhölzer und für Weidevieh sinnlos gerodete Flächen zu sinnieren. Wohl aber über Produktionen und Alben, die sich die Sorge um diese Natur, ihre Vielfalt und die vielfach unberührte Kultur indigener Stämme zunutze machen. Diese Sorge nämlich nährt das Album Amazonia – eine Produktion, die in Zusammenhang steht mit einer tourenden Show, bei der künstlerisch anspruchsvolle Fotographien eine Partitur von Heitor Villa-Lobos (1887–1959) illustrieren, oder die wahrlich sinfonische Partitur die Kraft der Bilder untermalt – je nach Perspektive. Man muss die Texte des Booklets aufmerksam lesen, um eine wirkliche Vorstellung zu bekommen.
Ursprünglich im Jahre 1958 für den Hollywood-Film Green Mansions (Tropenglut) mit Audrey Hepburn und Anthony Perkins entstanden, wurde Villa-Lobos vom Produzenten um seine Arbeit betrogen, indem durch Arrangeure & Co. der Score schlichtweg entstellt und seines eigenständigen Charakters beraubt wurde. Was einst mit dem Anspruch eines übergreifenden Kunstwerks entstand, endete im Mahlwerk der kommerziellen Mühle. Villa-Lobos arbeitete daraufhin die Partitur mit Wort, Solo und Chor zum Oratorium um (und als solches ist es bereits mehrfach eingespielt worden). Das aktuelle Album dokumentiert nun eine allenfalls (halbe) Rolle rückwärts. Es bliebt am Ende ein wenig unklar, wie es um die originale Partitur steht, wie sie hier bearbeitet wurde, ob etwa die drei vokalen Nummern so auch bereits 1958 vorgesehen waren. Entstanden ist jedenfalls eine Einspielung, die trotz aller Bemühungen am Ende dann doch eher nach Breitwandformat klingt. – Musikalisch wirkt das Album süffig. Mir aber fehlt ein wenig der authentische Charakter der Musik wie auch des Projektes an sich. Das kann selbst das Cover nicht verbergen. Es bleibt die Aufgabe, mehr Klarheit herzustellen und die ganze Geschichte dieser Partitur systematisch aufzuarbeiten. Bei Villa-Lobos liegt weiterhin vieles im Unklaren.
Heitor Villa-Lobos. Floresta do Amazonas; Philipp Glass. Metamorphosis 1 aus «Aguas da Amazonia»
Camila Provenzale (Sopran), Philharmonia Zürich, Simone Menezes
Alpha ALP 990 (2022)