23. November 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Vintersong

Vintersong
Vintersong
Im Norden wird es schneller Winter. Gemeint ist damit natürlich Skandinavien, wo die Tage rapide kürzer werden, teilweise die Polarnacht einsetzt und die tiefen Temperaturen den einmal gefallenen Schnee halten. Dann werden auch Lichter ins Fenster gestellt und der tägliche Rhythmus des Lebens verändert sich. Es ist das Gegenbild zum ewig hellen, oftmals auch nur kurzen Sommer. Entsprechend spielen die Jahreszeiten in den unterschiedlichen Künsten bis heute eine größere Rolle als in Mitteleuropa, wo sie allmählich verschwimmen und sich angleichen, vor allem werden sie in ihre Extreme getrieben. Schuberts Leiermann solle man eher am anderen Ufer der Nord- und Ostsee suchen.

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Dies geht mir jedenfalls durch den Kopf beim Hören dieses Albums mit einem aus dem Liederzyklus von Knut Vaage (*1961) entlehnten Titel Vintersong (2017) auf knapp gefasste Verse von Hanne Bramness. Es ist eine sehr kondensierte Musik, mit der zugleich ein Spagat zwischen altem Instrumentarium und neuer, zeitge¬nössischer Sprache geschaffen wird. Kaum weniger interessant ist das Laudato si‘ (2019) von Herman Vogt (*1976), instrumental eigenständig und kantabel von Blockflöte, Violoncello und Orgel begleitet. Mit der Einspielung der unkonventionellen und gar nicht nach material-eiliger Avantgarde schmeckenden Partitur von Jordens Oro Wiker op. 31 (1975) von Kjell Mørk Karlsen (*1947) geht der Blick weiter zurück – auf die wohl wichtigste Komposition dieser norwegischen Produktion. Hier wie auch in den anderen Werken kann der Countertenor Daniel Sæther mit seiner hellen und unbeschwert klingenden Stimme punkten und begeistern. Ihm aber auch dem Label LAWO ist Respekt zu zollen für dieses ungewöhnliche Album dem damit verbundenen Risiko. Chapeau!

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Vintersong
Knut Vaage. Vintersong (2017, rev. 2021); Urlicht (2017); Herman Vogt. Laudato si‘ (2019); Kjell Mørk Karlsen. Jordens Oro Wiker op. 31 (1975); Meditatio sacra (2019)
Daniel Sæther (Countertenor), Eira Huse (Mezzosopran), Elisabeth Holmertz (Sopran), Lynetta Taylor Hansen (Flöte), Caroline Eidsten Dahl (Blockflöte), Vegard Lund (Laute, Theorbe), Jørgen Skogmo (Theorbe), Kjell Tore Innervik (Perkussion), Anders Eidsten Dahl (Orgel, Cembalo), Ole Christian Haagenrud (Klavier), Ingrid Økland Kvadsheim (Violine), Maria Ines Zanovello (Violine), Torunn Johanna Blåsmo-Falnes (Viola), Anna Carlsen (Violoncello), Anne Stine Dahl (Violoncello), Fredrik Aske Blikeng (Kontrabass), Kai Grinde Myrann

LAWO LWC 1236 (2021)

HörBar #170 – s/w

Thomas Selle

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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