13. September 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Venezia 1631

Venezia 1631
Venezia 1631
Anfang des 17. Jahrhunderts ging man anders mit Pandemien um. Zum einen wurde nichts verleugnet, weil es auch schlichtweg nichts zum Impfen gab. Die Tatsachen sprachen eine deutliche Sprache: Beim letzten großen Ausbruch der Pest in und um Venedig 1630/31 wurde ein Drittel der Bevölkerung dahingerafft. Die Not war so groß, dass der Doge Nicolò Cantarini das Gelübde ablegte, nach der Befreiung von der Epidemie ein Fest zu feiern und als Dank eine Kirche zu bauen (er selbst starb dann). Als das Ende der Pest ausgerufen wurde, war das Fest schnell organisiert – mit der Musik dazu gab es aber Probleme. Nicht alle Musiker hatten überlebt, andere waren aus der Stadt geflohen. Außerdem war die Zeit zu kurz, um neue Werke zu komponieren, das Aufführungsmaterial zu erstellen und einzustudieren. Schließlich bedeutete das alles einen entscheidenden Einschnitt für die musikalische Identität der Serenissima: Die Epoche der Bläserensembles war zu Ende gegangen und machte nun den Streichern Platz… Zeitenwende.

Das Repertoire für das erste Festa della Maria della Salute war aus genannten Gründen ebenso klein besetzt, wie man es aus den Jahren 2020/21 kennt (das Album wurde tatsächlich auch im Dezember 2020 aufgenommen, so dass sich die Situation ein wenig spiegelt). Dramaturgisch handelt es sich um eine bunte Abfolge von rein instrumentalen Kompositionen (Sonaten, Canzonen) und geistlichen Werken – wie einem Salve Regina von Alessandro Grandi, das Cantate Domino von Francesco Cavalli und weiteren drei Sätzen von Monteverdi, Merula und Bartolomeo Barbarino. Schon einzelne Lebensdaten machen offensichtlich, dass nicht alle Werke in unmittelbarem zeitlichem Umkreis zur Feier von 1631 stehen (sie allenfalls im Repertoire vorhanden waren). Insofern steht das Programm ein wenig hinter dem titelgebenden Plot zurück. Musikalisch aber ist es ein hinreißendes Album voller Inspiration und einer bunten Farbpalette mit Violine, Viola da braccio, Cornetto, Posaune, Viola da gamba, Lira da gamba, Chitarrone und Orgel – dazu der klare Sopran von Gerlinde Sämann.

PS. Die versprochene Kirche Santa Maria della Salute wurde erst nach mehr als einem halben Jahrhundert eingeweiht (1687). Wer will da noch über die Elbphi, den BER oder Stuttgart 21 nachdenken?

Venezia 1631. La Festa della Salute
Giovanni Paolo Cima. Sonata à 4; Alessandro Grandi. Salve Regina; Giovanni Rovetta. Canzon seconda à 3; Francesco Cavalli. Cantate Domino; Antonio Bertali. Sonata à 2; Bartolomeo de Selma y Salaverde. Canzon 22; Dario Castello. Sonata Decima quarta à 4; Sesta Sonata à due; Claudio Monteverdi. Confitebor tibi, Domine; Giovanni Battista Riccio. Sonata à 4; Giovanni Battista Fontana. Sonata Seconda; Giuseppe Scarani. Sonata XVIII sopra «La Novella»; Bartolomeo Barbarino. Ave dulcissima Maria
Gerlinde Sämann (Sopran), ecco la musica

Christophorus CHR 77457 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #164 – Anno Domini

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