2. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Boccherini / Symphonies op. 35

Boccherini / Symphonies op. 35
Boccherini / Symphonies op. 35
Heute erreicht man die Metropolen der iberischen Halbinsel schnell und – im Verhältnis zum hinterlassenen «Klima-Abdruck» – zu billig. In dem für Künstler und Musiker reisefreudigen 18. und 19. Jahrhundert lagen Spanien und Portugal allerdings weit abseits der üblichen Routen. Noch heute stehen dem raschen Landweg die Pyrenäen im Weg, früher musste meist eine Schiffspassage gebucht werden (über das Mittelmeer oder durch die gefährliche Biskaya). Warum es den jungen Luigi Boccherini als aufstrebenden Komponisten und Virtuosen auf dem Violoncello nach ersten Erfolgen in Italien, Wien und Paris ausgerechnet in diesen Teil Europas gezogen hat, wird wohl nie letztgültig geklärt werden können. Einmal angekommen und schon nach wenigen Monaten als compositore e virtuoso di camera vom Infanten Don Luis verpflichtet, wurde er rasch heimisch in Madrid und Spanien überhaupt. Jedenfalls sah Boccherini in all den Jahren zwischen 1768 und 1805 offenbar keinen Grund für weitere Reisen. Umso exzeptioneller sind seine handschriftlich überlieferten oder meist in Paris gedruckten Werke. Fast könnte man gar meinen, er musste (wie Haydn am Hof der Esterházys) auf seine eigene Art und Weise «originell» werden.

Davon zeugen auch die hier als Doppelalbum eingespielten sechs Sinfonien «à quatro» op. 35 aus dem Jahr 1782. Dreisätzig angelegt und mit einer Spielzeit von etwa 15 Minuten gehören sie zwar formal einem «älteren»Typus an, entstammen aber unverkennbar der inzwischen vom spanischen Idiom gefärbten Feder Boccherinis. Genau das macht diese Werke (auch im Vergleich zu den bisweilen ungarisch angehauchten Haydns) so spannend: Obwohl das gelegentliche Unisono des Orchesters, die eingestreuten Generalpausen und manche harmonischen Wendungen ganz dem Stil der Zeit entsprechen, wirken die Partituren frisch und unverbraucht (die Bläser sind ad libitum vorgesehen, aber letztlich doch substanziell unverzichtbar). Auch wenn einige Sinfonien bereits eingespielt wurden und ich mir die vorliegende griffige Interpretation akustisch viel direkter vorstellen könnte: Der Vergleich zeigt, dass Marc Destrubé und das Orchestra of the Eighteenth Century einen sehr guten und vor allem verständigen Weg eingeschlagen haben, um die Originalität dieser Musik lebendig werden zu lassen. Sie stellen sich gleichsam in den Dienst der Musik. – Wer in dieser Formulierung nun eine bloße Floskel vermutet, dem sei ein im Booklet mitgeteilter Auszug aus einem Brief Boccherinis an Marie-Joseph Chénier ans Herz gelegt: «Daraus ergibt sich, dass der Komponist nichts ohne die ausführenden Musiker erreicht. Es ist notwendig, dass diese dem Autor gewogen sind, und dann müssen sie im Herzen all das empfinden, was dieser notiert hat; zusammenkommen, proben, untersuchen, schließlich den Geist des Autors studieren, dann seine Werke ausführen. Wenn sie dann beinahe den Komponisten in den Schatten stellen, oder zumindest den Ruhm mit ihm teilen, dann halte ich es zwar für eine Auszeichnung, zu hören: „Wie schön ist dieses Werk!“, aber noch mehr bedeutet mir, wenn man sagt „Wie himmlisch haben sie es gespielt!“»

Luigi Boccherini. Six Symphonies à Quatro op. 35
Orchestra of the Eighteenth Century, Marc Destrubé

Glossa GCD 921131 (2021/22)

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