16. September 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Larum – Treatise by Cornelius Cardew

Larum – Treatise by Cornelius Cardew
Larum – Treatise by Cornelius Cardew

«Treatise» (Abhandlung) ist eine Komposition von Cornelius Cardew (1936 bis 1981) aus den 60er-Jahren. Sie besteht aus 193 Seiten mit allein graphischen Elementen und zwei Notensystemen, die aber keine «Werte» enthalten, also leer sind. Darüber finden sich graphische Elemente, deren Bedeutung nicht festgelegt ist.

Es gibt hier viel zu sehen, bleiben Sie stehen.

Wie liest man diese Komposition? Die Antwort darauf ist schwierig, aber gelesen wird das Werk immer wieder einmal, die sich dann in Aufführungen realisieren!

Auf dieser Platte hier sind es zwei Aufführungen (und damit Lesarten) der Seiten 3, 45 und 76. Es spielt ein Trio mit Micah Frank (Modular Synthesizer), Chet Doxas (Woodwinds and Foley – musste ich nachschauen, meint wohl Holzblasinstrumente und «Geräusche(macher») und Taylor Deupree (Looping und Processing – also Wiederholendes und Berarbeitung). Gespielt wurde an zwei verschiedenen Orten. Die Ergebnisse sind kaum miteinander in Verbindung zu bringen: Es fällt schwer – oder ist gar unmöglich – reziprok von den akustischen Resultaten auf die komponierten Vorlagen zurückzuschließen.

Gleichwohl handelt es sich nicht um anlasslose freie Improvisationen. Hier resultieren recht unterschiedlich gefärbte Klanggestaltungsräume aus den Vorlagen, deren Beweglichkeit im Ganzen eher behäbig ist, also eher stehend, denn drängend. Das ist reiz- und geheimnisvoll. Oder je nach Lage des eigenen Gemüts, egal oder faszinierend.

Die Ausführenden interpretieren das folgendermaßen:

«This album reframes Treatise not as a static artifact of mid-century experimentalism, but as a living document—adaptable, unpredictable, and rich with possibility in the hands of artists attuned to both structure and spontaneity. With this modern realization, Larum hopes to affirm the work’s timelessness and prove that Treatise remains as vital and valid today as when it was first conceived.»

Im Grunde genommen ist selbst die für uns gewöhnliche Lesart aus Tradition, nämlich von Vorne nach Hinten, von Links nach Rechts, von Oben nach Unten eine Vorgabe, die «Treatise» nicht vorschreibt (hier PDF des Werks), auch wenn es unsereinem vernünftig erscheint. Die Konvention des westlichen Denken in einer sonst so kryptisch angelegten Partitur. Abenteuerlich.


Larum – Treatise by Cornelius Cardew [2025]

  • Micah Frank: Modular Synthesizer
  • Chet Doxas: Woodwinds and Foley
  • Taylor Deupree: Looping and Processing

CD 12K 12K1104 (VÖ: 19.09.2025) 12kmusic.bandcamp.com

  • Tracks 1-3 Recorded at Public Records, Brooklyn, NY.
  • Tracks 4-6 Recorded at Fridman Gallery, New York, NY.

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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