5. Juli 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

forgotten sounds

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In diesem Fall ist der Titel des Albums nicht das Ergebnis einer kreativen Eingebung oder eines Zufalls, sondern er nimmt (in Übersetzung) den Namen einer Komposition von Charles Martin Loeffler (1861–1935) auf: Timbres oubliés. Ursprünglich für Singstimme und Harfe komponiert, erklingt das Stück hier «ohne Worte» und dennoch sehr beredt auf der Klarinette. Es handelt sich allerdings eher um eine Zugabe, wie auch Debussys bekanntes Prélude, das hier die Funktion einer Introduktion übernimmt. Dennoch liegt die Spielzeit des Albums mit 45 Minuten deutlich unter dem Durchschnitt. Im Zentrum steht Loefflers drei Sätze umfassendes, halbstündiges Oktett in der ungewöhnlichen Besetzung mit zwei Klarinetten, zwei Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass und Harfe.

Das Werk ist freilich so unbekannt wie sein Komponist. Einst geboren in Berlin-Schöneberg, wanderte Charles Martin Loeffler 1881 im Alter von 20 Jahren in die USA aus. Für einige Jahre wirkte er (ein Schüler von Joseph Joachim) als Konzertmeister in New York und Boston; 1903 zog er sich jedoch auf seinen Landsitz in Massachusetts zurück, um fortan nur noch zu komponieren. Sein Stil birgt einige Überraschungen: Neben starken klanglichen Einflüssen aus Frankreich zeigt er eine klare formale Disposition und eine abgeklärte Sentimentalität. Die Verwendung der Harfe in einem größeren kammermusikalischen Ensemble mutet im ersten Moment impressionistisch an; doch dies ist eine falsche Fährte, denn Loeffler scheint grundsätzlich nach unerhörten Besetzungen Ausschau gehalten zu haben. Eine großartige Komposition, wunderbar gespielt, vortrefflich aufgenommen.

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Claude Debussy. Prélude à l’après-midi d’un faune (Arr. für Oktett von Graeme Stelle Johnson); Charles Martin Loeffler. Oktett (1897), Timbres oubliés für Klarinette und Harfe
Graeme Stelle Johnson (Klarinette); Stella Chen (Violine); Matthew Cohen (Viola); Samuel Decaprio (Violoncello); Yun Han (Violoncello); Bridget Kibbey (Harfe); Bora Kim (Violine); Siwoo Kim (Violine); Han Lash (Harfe); Matthew Lipman (Viola); Rachel Loseke (Violine); Ji Weon Ryu (Flöte); David Shifrin (Klarinette); Sam Suggs (Kontrabass); Kohei Yamaguchi (Kontrabass)

Delos DE 3603 (2019, 2023, 2024)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #160 – forgotten music

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