3. Juni 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Cipriani Potter

Cipriani Potter
Cipriani Potter
Obwohl sich in London bereits Ende des 18. Jahrhunderts ein lebhaftes öffentliches Konzertleben entwickelt hatte, waren Werke britischer Komponisten dennoch kaum präsent. Auch nach der Jahrhundertwende griff man eher auf die Partituren von Joseph Haydn zurück (insbesondere auf die sogenannten «Londoner Sinfonien»). Selbst die Gründung der Philharmonic Society im Jahre 1813 setzte zunächst kaum neue Akzente. Mit Ferdinand Ries war lediglich ein weiterer deutschsprachiger Komponist auf den Programmen vertreten. Erst die nachfolgende Generation mit George Alexander Macfarren (1813–1887) und William Sterndale Bennett (1816–1875) sollte sinfonisch eigenständig werden. Dazwischen stehen die Partituren von Cipriani Potter (1792–1871), der erst seit kurzem wieder entdeckt wird.

Als Lehrer und späterer Direktor der Academy of Music genoss Potter in London hohes Ansehen, als Komponist erlebte er allerdings keinen internationalen Durchbruch, obwohl einige seiner Werke auch in Leipzig erschienen. Zwar äußerte sich Beethoven nach einem Zusammentreffen in Wien (1818) gegenüber Ries anerkennend («ein guter Mensch […] u. hat Talent zur Komposition»), doch können die hier eingespielten Sinfonien von 1821 und 1847 kompositorisch wie interpretatorisch nicht überzeugen. Der Tonsatz erscheint zu vorhersehbar, die Instrumentation mutet mitunter pauschal an. Vielleicht würde das Urteil etwas wohlwollender ausfallen, wenn die Umsetzung nicht so uninspiriert wäre (wie etwa bei dem mehrfach im Nichts anhaltenden Scherzo aus der Sinfonie Nr. 6) oder wenn im interessanten Concertino die Solisten nicht unangemessen im Vordergrund stünden und das Klangbild zum Kippen brächten. Dass bei dieser Produktion (zumal in Kooperation mit der BBC) musikalisch wie akustisch so vieles nicht stimmt (auch lassen sich hier und da die Schnitte deutlich hören), irritiert.

Cipriani Potter. Sinfonie Nr. 3 c-Moll (1847); Concertante für Klavier, Violine, Violoncello, Kontrabass und Orchester; Sinfonie Nr. 2 B-Dur (1821); Ouvertüre zu «The Tempest» (1837)
Mishka Rushdie Momen (Klavier), Jonian-Ilias Kadesha (Violine), Tim Posner (Violoncello), Philip Nelson (Kontrabass), BBC National Orchestra of Wales, Howard Griffiths

cpo 555 500-2 (2022/23)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #156 – Sinfonisches

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