Viktor UllmannSchon seit längerem ist Der Kaiser von Atlantis ins Repertoire eingegangen. Es handelt sich um ein «Spiel in einem Akt», eine Kammeroper. Sie ist unbestritten das Hauptwerk von Viktor Ullmann (1898–1944), keineswegs aber seine letzte Partitur. Entstanden im Ghetto Theresienstadt, wurde das Werk im Rahmen der organisierten «Freizeitgestaltung» einstudiert, nach der Generalprobe indes abgesetzt (diese Vorgänge lassen sich nicht mehr genau rekonstruieren). Sowohl Ullmann als auch sein junger Librettist Peter Kien (1919–1944), der sich auch bildnerisch betätigte, wurden bald darauf nach Auschwitz deportiert… Drei Jahrzehnte vergingen bis zur Uraufführung des Werkes, in dem der Tod zunächst seine Dienste verweigert, um dann später zu erkennen, dass er letztlich Freiheit und Erlösung bringt. Ein Bild, das an barocke Dichtungen erinnert.
Bei dem Album handelt es sich um den Live-Mitschnitt einer Aufführung vom 10. Oktober 2021 – einer Zeit, in der auch weltweit viel mit dem Tod gerungen wurde. Jedenfalls beschreiben Kien / Ullmann in Der Kaiser von Atlantis den Tod als «kleinen Handwerker des Sterbens» und die Situation während seines Streiks: «Tausende ringen mit dem Leben, um sterben zu können.» Vermutlich stand die Einspielung stark unter dem Eindruck der Pandemie, vielleicht wirkt sie deshalb so unmittelbar und authentisch. Dabei nähert sich die Interpretation einem Ton an, den man sonst eher von Brecht / Weill kennt – ein Ton, den Lars Woldt schon im Prolog als Lautsprecher setzt und den Patrik Hahn durch die ganze Partitur verfolgt. Unter seiner Leitung läuft das Münchner Rundfunkorchester zur Höchstform auf, zeigt sich flexibel und versteht es, die bewusst komponierten unterschiedlichen Stilhöhen der Musik zwanglos abzubilden.
Viktor Ullmann. Der Kaiser von Atlantis
Juliana Zara (Sopran), Christel Loetzsch (Mezzosopran), Johannes Chum (Tenor), Adrian Eröd (Bariton), Lars Woldt (Bass), Tareq Nazmi (Bass), Münchner Rundfunkorchester, Patrick Hahn BRKlassik 900339 (2021)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.