Hans HellerEin Album, das man erstaunt hören wird. Denn obwohl vor rund 40 Jahren die Aufarbeitung verfemter Komponisten in den Fokus rückte, viele Namen inzwischen (wieder) geläufig sind und sogar einzelne Werke regelmäßig aufgeführt oder eingespielt werden, gibt es immer noch verfolgte Komponisten, die es erst wieder zu entdecken gilt – wie in diesem Fall Hans Heller (1898–1969). Geboren in Greiz, studierte er nach dem Ersten Weltkrieg zunächst Klavier bei Robert Teichmüller in Leipzig, dann Komposition bei Franz Schreker in Berlin. Das Kommende ahnend, emigrierte die Familie bereits 193 nach Paris. Bei Kriegsausbruch interniert, entging Heller nur durch Zufall und Glück der Vernichtung; unmittelbar nach dem Krieg zog es ihn nach New York, später kehrte er nach Deutschland zurück.
Auch kompositorisch blieb Hans Heller immer in jenem undurchdringbaren Schatten gefangen, den die Weltgeschichte geworfen hatte. Weder in Paris noch in den USA (wo keines seiner Werke je erklang) konnte er wirklich Fuß fassen. Das möglicherweise als Hauptwerk konzipierte Oratorium Nation Shall Not Lift Up Sword Against Nation wurde zwar 1955 in Berlin uraufgeführt, doch mit dem Tod seiner Frau Ingrid, einer anerkannten Pianistin, verschwanden auch die kleineren Werke von den Programmen. Umso erfreulicher ist die Spurensuche, die Jascha Nemtsov unternommen hat – biographisch wie auch durch das Schaffen. Die sechs ausgewählten Werke zeigen Heller bereits in den 1920er Jahren als einen auch dodekaphon arbeitenden Komponisten, dessen dunkel timbrierte Werke Tendenzen des Expressionismus (Klaviersonate) wie des Neoklassizismus (Suite) aufnehmen. Es ist zu hoffen, dass es nicht bei dieser ersten Produktion bleibt, sondern noch mehr aus dem Œuvre erkundet wird.
Hans Heller. Klaviersonate op. 3 (1926/27); «Vom kleinen Alltag», Vier Lieber op. 8 (1930); Zwei Scherzi op. 4 (1926); «Schlafen, schlafen…» (1938); Little Suite (1951); Les Aveugles (1938); Divertimento (1959)
Tehila Nini Goldstein (Sopran), Jascha Nemtsov (Klavier) hänssler classic HC 22002 (2020/21)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.