12. April 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Nordin / Martin Fröst

Nordin / Martin Fröst
Nordin / Martin Fröst
Die Gegenwart ist eine Zeit des Experimentierens. Das hat vermutlich jede Generation gesagt – oder auch befürchtet. Heute sind die Herausforderungen vielleicht größer denn je. Während in früheren Jahrhunderten die Harmonik erweitert und neu definiert wurde, neue Formen und Gattungen ein etabliertes Gerüst ins Wanken brachten, neue Instrumente, ein verändertes Sozialgefüge oder auch ein anderes ästhetisches Verständnis großen Einfluss ausübten, nach dem Zweiten Weltkrieg sogar der Materialbegriff neu definiert wurde, so sind es im 21. Jahrhundert neue elektronische Verfahren, die das Spektrum erweitern. Noch einmal anders als in der elektroakustischen Studiomusik der 1950er Jahre treten nun Solisten und Klangkörper mit den vorhandenen bzw. vorgegebenen Möglichkeiten in Beziehung – über Zuspielung, Sampling, Looping.

So auch in der Komposition Emerging from Currents and Waves (2018) von Jesper Nordin (*1971) – ein dreiteiliges Werk, dessen Ecksätze Currents und Waves ein dreiteiliges Klarinettenkonzert (Emerging) umfassen. Verwendung findet dabei auch das Gestrument. Dabei handelt es sich um eine von Nordin selbst entwickelte Software, mit der in Echtzeit gearbeitet werden kann, die aber in der größ dimensionierten Live-Performance Übung und ein gründliches Studium erfordert, wie jedes andere Instrument. Gewonnen wird mit ihm mehr Räumlichkeit und unmittelbare Resonanz durch eigenes Spiel und eigene Gestik. Bei der auf diesem Album dokumentierten Aufführung in Stockholm (31. August 2018) kam sogar noch eine visuelle Komponente hinzu. Die notierte Partitur setzt dabei den kompositorischen Rahmen. Der Nachteil dieses rein akustischen Albums liegt freilich auch der Hand: Der Nachteil dieses rein akustischen Albums liegt freilich auf der Hand: Weder die eingesetzten Gesten, noch die Installation des Klangs im Raum, noch die digital generierten Bilder, die auf transparente Stoffe projiziert wurden, sind hörbar und sichtbar. Schon beim Hören stellt sich daher die Frage nach dem «Warum» – wenn diese Musik doch so offensichtlich von einer unmittelbaren, körperlich inspirierten Interpretation ausgeht. Sich auftürmende Klangblöcke allein rufen allerdings noch keine Erhabenheit hervor und geben kaum Auskunft über das dahinter stehende Konzept. Die Aufführung selbst (mit Martin Fröst als Solisten) muss sehr beeindruckend gewesen sein. Das jedenfalls in fraglos zu spüren.

Jesper Nordin. Emerging from Currents and Waves für Klarinette, Orchester und Live Electronics (2018)
Martin Fröst (Klarinette, Gestument), Swedish Radio Symphony Orchestra, Esa-Pekka Salonen

BIS BIS-2559 (2018)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 4 in Michael Kubes HörBar #151 – Klarinette

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