31. März 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Gilles Sivilotto – Handmade

Sivilotto – Handmade
Sivilotto – Handmade

Eine ganz eigene musikalische Poetik und Tonwelt gibt es mit dem Album Handmade von Gilles Sivilotto, das bei Label Zeitkratzer demnächst erscheinen wird. Nach allem, was ich weiß, und das ist wenig genug aus der sparsamen Beschreibung dieser vier Stücke (2 × Handmade 02 und 2 × Handmade 03), geht das Handgemachte aus der händischen Bearbeitung einer Klangbearbeitungs-Software hervor. Da wird mit einem virtuellen Bleistift nachgearbeitet. «These frequency graphs, once notated, become electronic music and at the same time an acoustic score for an instrumental interpretation: Human music that forget its origin: electronic music without electronics!»

Das ist in der Denkungsart vollkommen radikal und auf eine irrwitzige Weise irrational. Zu hören ist dabei im Ergebnis ein Klanggeräuschbrei (un-)endlicher Tiefe, beziehungsweise umgekehrt, etwas alogisch, teleologiefreies für sich und für nichts anderes Stehendes. Eine Welt ohne Boden, eine Welt deren Zeit allein gefüllt wird. Das ist eine durchaus angenehme Art mit instrumentaler Praxis umzugehen. Vor allem bei Handmade 03 für Ensemble entsteht eine fein-geräuschartige Atmosphäre, die auch improvisiert denkbar ist. Die jeweils zwei Versionen einer Handmade-Komposition sind daueridentisch. Es reizt einen geradezu, diese Musik nicht nacheinander, sondern übereinanderzuhören, um zu hören und (!) zu sehen, was sie im Prozess der Übersetzung ereignet. Ich finde die akustischen Ähnlichkeiten eher marginal, was wohl sowohl zufällig, unhintergehbar und absehbar aus dem Setting hervorzugehen scheint. Das wäre auch bei einer zweiten Version der mit Instrumenten und Menschen erzeugten Musik wohl kaum anders. Die Interpretation des Digitalen ist vielfältig, aber nicht beliebig.

Jenseits davon, was bleibt? Ein Reichtum an Klang und Geräusch, fein gesponnen auch in der Perspektive gestaffelter Musik.


Gilles Sivilotto – Handmade [2025]

  • Isabelle Duthoit – Stimme
  • Ensemble zeitkratzer: directed by Reinhold Friedl | Frank Gratkowski: clarinets | Hild Sofie Tafjord, french horn| Hilary Jefferey: trombone | Reinhold Friedl: piano | Maurice de Martin: percussion | Lisa Marie Landgraf: violin | Burkhard Schlothauer: violin | Nora Krahl: violincello | Ulrich Phillipp: doublebass |

zeitkratzer records – zkr0029 – CD Digipack with 8-page booklet. (VÖ: 25.04.2025)

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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