21. Februar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Tālivaldis Ķeniņš / Concerto

Tālivaldis Ķeniņš / Concerto
Tālivaldis Ķeniņš / Concerto
Wieder einmal hat die Weltgeschichte entscheidend in die Biographie eines Komponisten eingegriffen. Diesmal bei Tālivaldis Ķeniņš (1919-2008), der in Lettland geboren wurde, zunächst in Grenoble eine Ausbildung für den diplomatischen Dienst des jungen Staates erhielt, während des Zweiten Weltkriegs nach Riga zurückkehrte und mit dem Einmarsch der Sowjetunion nach Paris floh. Dort studierte er bei Olivier Messiaen, hielt sich als Pianist über Wasser, wurde mehrfach ausgezeichnet. Sein Septett wurde 1951 in Darmstadt aufgeführt, dann ging er nach Kanada – zunächst als Organist, später lehrte Ķeniņš selbst Komposition an der Universität von Toronto. Dem Label Ondine ist es zu verdanken, dass seine Musik in den letzten Jahren zunehmend durch CD-Einspielungen international bekannt wurde. Nun zieht das Lettische Musikinformationszentrum auf seinem eigenen Label Skani nach – mit drei bemerkenswerten Kompositionen.

Zu Entdecken ist auch in den Konzerten eine ganz eigene Tonsprache, die aus der Tradition herausgewachsen ist, kaum von Ismen (auch die der Avantgarde) beeinflusst wurde und dennoch im besten Sinne des Wortes zeitgenössisch an-mutet. So hat wohl der französische Einfluss deutliche Spuren hinterlassen – vor allem aber verstehen sich die beiden Konzerte (eines für Violine, 1974, und eines für fünf Percussionisten, 1983) nicht als Selbstzweck für Virtuosen. Vielmehr ist der Solopart jeweils in eine weiträumige Dramaturgie eingebettet, die jeweils fünf Sätze umfasst, mehr aber noch (das machen zahlreiche Anspielungen deutlich) das Repertoire genau kennt. Vor allem im Schlagwerk-Konzert lebt von der Einbettung des Solos in den vom Orchester bestimmten Verlauf, aus dem sich hier und da wunderbare Klangkonstellationen ergeben, die mehr erzählen als bloß darbieten. Es ist ein Album, das nicht allein dokumentiert, sondern auch eine Brücke schlägt zwischen dem Alten Europa und dem nördlichen Ende der Neuen Welt.

Tālivaldis Ķeniņš. Konzert für Violine und Orchester (1974); Konzert für fünf Percussionisten und Orchester (1983); Beatae voces tenebrae (1977)
Eva Bindere (Violine), Mikus Bāliņš, Elvijs Endelis, Elina Endzele, Guntars Freibergs, Ernests Mediņš (Schlagwerk), Latvian Symphony Orchestra, Andris Poga

LMIC / Skani 088 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 4 in Michael Kubes HörBar #146 – Schlagwerk

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