19. Februar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Schubert & Liszt / Leonardo Pierdomenico

Schubert & Liszt / Leonardo Pierdomenico
Schubert & Liszt / Leonardo Pierdomenico
Bereits 1840 richtete sich Franz Liszt die Winterreise von Franz Schubert für Klavier ein – eine Transkription, mit der er nicht nur die musikalische Substanz neu interpretierte und durch virtuose Passagen anreicherte, sondern auch dem im Original 24 Lieder umfassenden Zyklus eine andere Wendung gab. Denn Liszt bearbeitete nur zwölf Gesänge aus den beiden Teilen und fügte sie nach einer eigenen Dramaturgie neu zusammen: Auf die eröffnende Gute Nacht folgt bereits Die Nebensonnen, später stehen Lindenbaum und Leiermann zusammen, am Ende kehrt der Wanderer mit Im Dorfe an den Ausgangspunkt seiner Reise zurück.

Deutlich ist zu spüren, dass Leonardo Pierdomenico in dieser Aufnahme die Verse in Gedanken mitsingt. Sein Spiel ist nicht bloß pianistisch über jeden Zweifel erhaben, er interpretiert die Lieder trotz der zum Teil erheblichen technischen Anforderungen kantabel – ein Spagat, der auf sehr glückliche Weise gelingt, der nicht allein die Bravour in den Vordergrund rückt und damit auch einen neuen Blick auf diese Transkription eröffnet. Vervollständigt wird das Album durch zwei weitere Schwergewichte aus dem Liszt’schen Œuvre: den mit knapp 18 Minuten Spielzeit gestalterisch fordernden Gretchen-Satz aus der Faust-Sinfonie und den Totentanz in der Fassung für Klavier solo. Erfreulicherweise ist der von Leonardo Pierdomenico verwendete Steinway D warm intoniert und neigt in der Höhe nicht zu kalten Spitzen. Die Akustik des Studios in der Bethlehemkerk Amsterdam ist erstaunlich trocken und direkt. Ein Gewinn, wer dem Pianisten hörend auf die Finger schauen möchte.

Franz Liszt. Winterreise S 561 für Klavier (nach Franz Schubert. Winterreise op. 89 D 911); Gretchen, aus: Faust-Sinfonie für Klavier S 513; Totentanz. Danse macabre für Klavier S 525
Leonardo Pierdomenico (Klavier)

Piano Classics PCL 10251 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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