Arnold Rosner (1945–2013) war als Komponist ein Außenseiter. Während seines Studiums in den 1960er Jahren fand er mit seiner Vorstellung von Musik unter den wortführenden Serialisten kein Gehör, und auch heute dürfte sein eigenwilliger Stil Befremden auslösen. Denn Rosner war ein Komponist, der die Jahrhunderte verband, der sich für die frühe Renaissance ebenso begeisterte wie für den aufkeimenden Minimalismus. Ausdruck davon ist das Requiem (1973) – ein eruptives Werk, das einen mitreißt, verstört, fordert und irritiert. Mit knapp 70 Minuten Spielzeit ist es eine große Partitur; mit Texten aus der Bibel, von französischen, deutschen und amerikanischen Dichtern, mit Auszügen aus dem tibetischen Totenbuch und der jüdischen Liturgie ist es ein überkonfessionelles Werk, das im Kern auf eine nie vollendete Oper zu Ingmar Bergmans Das siebente Siegel (1957) zurückgeht (der Regisseur hatte das Projekt grundsätzlich abgelehnt).
Als studierter Mathematiker interessierte sich Rosner für Phänomene der Numerologie, als Komponist realisierte er im Requiem zumindest die sieben Siegel der Apokalypse als sieben im Raum verteilte Trompeten. Zugleich bildet für ihn das Orchester mit seinen kraftstrotzenden Massierungen aus Ostinati, Sequenzen, Repetitionen und weiträumigen Crescendi das musikalische Zentrum (Ouvertüre und Sutra). Es findet sich aber auch eine Arie nach Versen von Gottfried Benn («Ein Wort, ein Satz»), eine hochfiebrig brodelnde Toccata (Musica satanica), dann ein a-cappella-Madrigal und ein aus der Zeit gefallenes Organum, gefolgt von einem postromantischen Gebet (Kaddish) und einer Passacaglia (Libera me); am Schluss steht ein instrumentales Nachspiel in die Stille hinein. All dies steht nebeneinander, und doch formt sich etwas Ganzes daraus. Form, Faktur und Harmonik können als unakademisch bezeichnet werden, aber vielleicht liegt gerade darin die Stärke dieser Komposition. Man muss sich darauf einlassen (können) – und die hochprofessionelle, engagierte Einspielung macht es einem leicht.
Arnold Rosner. Requiem op. 59 (1973)
Kelley Hollis (Sopran), Feargal Mostyn-Williams (Countertenor), Thomas Elwin (Tenor), Crouch End Festival Chorus, London Philharmonic Orchestra, Nick Palmer
Toccata Classics TOCC 0545 (2019)