17. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Quatuor Akos / Joseph Haydn

Quatuor Akos / Joseph Haydn
Quatuor Akos / Joseph Haydn
Nur 50 Jahre nach dem nebligen «Ereignishorizont» der ersten Streichquartette in der Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Gattung um 1800 ästhetisch bereits umfassend nobilitiert. Neben den Haydn gewidmeten und 1785 als Opus 10 gedruckten Quartetten von Wolfgang Amadeus Mozart war es Haydn selbst, der die Gattung ab seinem Opus 33 mit jedem «Sechserpack» weiter vorantrieb. Einen markanten Schritt aus dem Salon in die Öffentlichkeit machte die Gattung mit den 1797 entstandenen und 1799 als op. 76 gedruckten «Erdödy-Quartetten», über die Charles Burney (1726–1814) nach einer Aufführung der ersten drei Werke in einem Brief an Haydn notierte: «Ich habe niemals durch Instrumentalmusik mehr Vergnügen empfunden: sie sind voller Erfindung, Feuer, gutem Geschmack und neuen Effekten […]»

Das macht diese Sammlung bis heute zu einer ernsten Herausforderung für jede Formation – weshalb sich wohl auch die Anzahl der Einspielungen aller sechs Kompositionen eher in Grenzen hält: Die Fülle der Satzcharaktere, der in jedem Takt aufblitzende schöpferische Esprit, Haydns Strenge und Witz lassen sich nicht schnell, sondern nur gründlich erkunden, will man der Meisterschaft dieses Opus’ gerecht werden – von der Extrovertiertheit des Kopfsatzes der Nr. 1 über die minimalistische Motivik des Kopfsatzes der Nr. 2 bis hin zu den langsamen Sätzen der Nr. 5 und 6, die geradezu ein philosophierendes (Nach)Denken über Musik darstellen. Das Quatuor Akos geht all dies mit einem feinen, oft gar behutsam geführten lyrischen Ton an, der klar zeichnet und den Tonsatz gleichsam erläutert, aber nicht immer in das Geisterreich zwischen den Noten vorzudringen vemag – als ob es nur aus einer sicheren Position von anderen Dimensionen erzählte, ohne sie selbst zu erforschen. Pauschal ist die Einspielung zu keinem Zeitpunkt, sie vertraut aber auch nicht gänzlich auf die selbständige Tragkraft des einzelnen Satzes. So nähern sich die Werke eher ihrem sprachlichen Charakter an, wo sie doch nach individuellem Ausdruck streben. Philosophen sollte man nicht bloß «lesen».

Joseph Haydn. Streichquartette op. 76 («Erdödy»)
Quatuor Akos

NoMadMusik FF004 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #129 – Streichquartette

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