19. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Cellosonaten / Ana Turkalj

Cellosonaten / Ana Turkalj
Cellosonaten / Ana Turkalj

Zu Recht werden Carl Reineckes drei Sonaten für Violoncello und Klavier als treffliche Repertoire-Alternativen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehandelt. Obwohl mehr kantabel als virtuos angelegt (die Daumenlage wird weitestgehend ausgespart), fordern die Werke zu einer vollständig durchgearbeiteten und sorgfältig gestalteten Interpretation heraus. Die gewichtige Konkurrenz (in erster Linie Brahms) bleibt unerschütterlich – da gilt es, den Saiten Substantielles zu entlocken. Reinecke jedenfalls gelingt dies auf ganz eigene und charakteristische Weise, so dass die kompositorische Einladung vom Interpreten nur noch angenommen werden muss.

Insofern überrascht die Einspielung von Ana Turkalj und Aleck Carratta. Fast scheint es, als habe man Brahms wirklich einmal «vergessen«, die Lücke durch Reinecke ersetzt. Denn es gibt keine Vorbehalte, kein Zögern, kein Denken in musikhistorischen Kategorien. Den Sonaten von Reinecke hilft dies wirklich auf, nicht nur als eigenständige, sondern mehr noch als herausragende Werke der Genres wahrgenommen zu werden. Ist die erste Sonate von 1855 noch über weite Strecken im Geiste Schumanns gehalten, so erreicht die dritte Sonate (ein Spätwerk von 1898) eine ganz andere Stufe kompositorischer Abstraktion; sie ist zudem «den Manen Johannes Brahms’» gewidmet). Auch wenn die Einspielung akustisch etwas zu eng erscheint, so besticht sie durch eine kammermusikalische Kommunikation, die die Werke lebendig werden lässt, ohne dass eine Portion Pathos oder ein Löffel Zucker darüber gestreut wird. Genau darin liegt der Vorzug dieser Produktion, die beinahe an mir vorbeigegangen wäre.

Carl Reinecke. Sämtliche Sonaten für Violoncello und Klavier
Sonate Nr. 1 a-Moll op. 42; Sonate Nr. 3 D-Dur op. 89; Sonate Nr. 3 G-Dur op. 238
Ana Turkalj (Violoncello), Aleck Carratta (Klavier)

Brilliant Classics 96539 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 3 in Michael Kubes HörBar #130 – Reinecke 200

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