16. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Serenata / Neil Thomson

Serenata / Neil Thomson
Serenata / Neil Thomson
Warme Sommernächte. Da macht sich eine späte Serenade besonders gut. Hier stammt sie aus dem fernen Brasilien – und zwar nicht nur der Entfernung nach, sondern auch was Stil, Melodik und Rhythmus angeht. Denn schon bei der ersten Nummer auf diesem Album, der Sonata for Strings (1894) von Antonio Carlos Gomes (1836–1896) muss man lange warten, um an nur ganz wenigen Stellen eine Ahnung südamerikanischen Feuers zu bekommen. Eher hört sich die Sonata an wie eine Schwester geläufiger westeuropäischer Streicherserenaden des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schön zu hören, doch mi deutlich weniger nationalem Einschlag als etwa bei Dvořák oder Suk.

Ähnlich steht es um die Suiten «im alten Stil» von Alberto Nepomuceno (1864–1920) und Leopoldo Miguéz (1850–1902). Beide Werke erinnern an die Musik vergangener Epochen europäischer Musik – und interpretieren sie neu. Bei Nepomuceno geschieht dies mit gefälliger Einfachheit nach erkennbaren Mustern, Miguéz hingegen denkt die Modelle eher aus seiner Zeit und mit kontrapunktischem Können heraus (und unter Einsatz von ein paar Bläsern auch farbiger). Auch wenn seine Suite op. 25 bereits 1893 entstand, so ähnelt sie doch in der Art ein wenig Max Reger, der seine Partituren allerdings immer harmonisch und satztechnisch komplexer gestaltete. – Die professionelle Interpretation des English Chamber Orchestra unter Neil Thomson verführt dazu, den Kompositionen zu folgen, auch wenn mehr Topos als Temperament in ihnen wohnt (was aber auch schon wieder einen Topos impliziert). Eine interessante Begegnung.

Serenata. Brazilian Music for Chamber Orchestra
Carlos Gomes. Sonata for Strings (1894); Francisco Braga. Madrigal-Pavana (1901); Alberto Nepomuceno. Suite Antiga op. 11; Serenata (1902); Leopoldo Miguéz. Suite à Antiga op. 25 (1893)
English Chamber Orchestra, Neil Thomson

Naxos 8.574405 (2022)

HörBarAmazonia / Simone Menezes >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #125 – Brasilien