So reif wie das Obst auf dem als Cover abgebildeten Fruchtstück von Jan van Huysum (1682–1749) sind auch die sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo BWV 1014–1019 von Johann Sebastian Bach. Entstanden während seiner Zeit als Hofkapellmeister in Köthen, handelt es sich wohl nicht nur um die ersten Werke dieser Art, sondern bereits um einen ersten Gipfel des erst später Gestalt annehmenden Repertoires. Bach zeigt sich dabei nicht nur in der Anlage und Faktur der Kompositionen als in die Zukunft blickender Innovator, sondern mehr noch im Bereich des Ausdrucks. Über ein halbes Jahrhundert später und unter anderen ästhetischen Gesichtspunkten konnte daher CPE Bach in einem Brief an Johann Nikolaus Forkel notieren: «Sie klingen noch jetzt sehr gut, u. machen mir viel Vergnügen, ohngeacht sie über 50 Jahre alte sind. Es sind einige Adagii darin, die man heut zu Tage nicht sangbarer setzen kann.»
Bach fordert von seinen Interpreten freilich ein Maximum an technischen Fertigkeiten und gestalterischem Vermögen. Dies ist vermutlich einer der Gründe, die dazu führten, dass diese Sonaten im Schatten der Konzerte und Ouvertürensuiten jener Phase verschwanden – auch wenn sie niemals in Vergessenheit gerieten. Wie nahe Bach bereits in frühen Jahren der Zukunft war, ist in dieser rundum vorzüglichen Einspielung zu erkunden, in der kein Satz an Spannung verliert. Darüber hinaus lässt die Intensität der Charaktere Ohren und Herz aufgehen. Wo mit Cembalo (und gar modernem Flügel) manches zu abstrakt anmutet, da eröffnet hier das erst später erbaute und in Mode gekommene Silbermann’sche Klavier eine wunderbare Welt, die einerseits noch ganz dem Kontrapunkt verpflichtet ist, andererseits aber auch schon etwas sehr Galantes atmet. Eine akustisch sehr gut eingefangene, hinreißende Produktion, die noch dazu eine weitgehend unbekannte Seite Bachs ausleuchtet.
Johann Sebastian Bach. Sonaten für Violine und Cembalo BWV 1014-1019
Sirkka-Liisa Kaakinen-Pilch (Violine), Tuija Hakkila (Silbermann-Pianoforte)
Ondine ODE 1446-2D (2022)