21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Eduard Erdmann / Mikhail Timoshenko

Eduard Erdmann / Mikhail Timoshenko
Eduard Erdmann / Mikhail Timoshenko
Eduard Erdmann (1896–1958) gehört zu den interessantesten Pianisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nicht nur als Interpret, sondern auch als Komponist. Zwar wurden seine vier Sinfonien schon vor langer Zeit auf CD eingespielt (allerdings sind nicht alle Produktionen mehr lieferbar), aber die bedeutende Sonate für Violine solo op. 12 (1921) ist noch erreichbar. Eine bisher unbekannte Seite des Œuvres stellen hingegen die Lieder dar als Beiträge zu einer Gattung, die auch in der Moderne ästhetisch eng mit dem 19. Jahrhundert verbunden war. Bereits ein flüchtiger Blick ins provisorische Werkverzeichnis zeigt, dass sie vielfach gar noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sind. Umso eindrücklicher ist die Eigenständigkeit von Erdmanns Deutungen…

… denn er beherrschte offenkundig auch die kleinen Formen und konnte kondensieren, was in den großen sinfonischen Partituren mit ihrer komplexen Faktur in der Breite ausgearbeitet wurde; wer je eine der Sinfonien live gehört hat, weiß von den Forderungen und Ausdruckstiefen. Kombiniert wird die Auswahl(!) der teilweise sehr persönlich inspirierten Kompositionen (die Widmung von op. 8 lautet: «Frau Elisabeth Tiessen zur Erinnerung an die lustigen Morgenstern-Abende») mit zwei Liedern von Irene Erdmann (1896–1978) und dem 1922 gedruckten op. 15 von Philipp Jarnach (1892–1982) – übrigens ein Werk, das als Folge der ersten Donaueschinger Kammermusiktage entstand. – Angesichts der gestalterischen Anforderungen (und Möglichkeiten) vor allem der Erdmann-Gesänge hinterlässt die Einspielung mit Mikhail Timoshenko (Bariton) und Elitsa Desseva (Klavier) einen zwiespältigen Eindruck, denn je mehr man eine Vorstellung von den Werken bekommt, desto spürbarer bleiben weiterführende Dimensionen des Ausdrucks unerschlossen. Man muss sich mit einer gewissen Statik und klangfarblichen Begrenzungen arrangieren. Und dennoch: Ein Anfang ist gemacht.

Eduard Erdmann. Sommer op. 7/3; Nachtwanderung op. 2/3; Der Vogel op. 7/4; Kornblumen wind ich dir zum Kranz op. 2/4; Septembermorgen op. 2/1; Himmel und Erde op. 8 (1915); Der Engel op. 11/1; Tehuras Lied op. 3/4; Lied op. 3/6; Es gilt fast mehr op. 11/2; In himmlischer Ferne op. 3/1; Die Insel der Glücklichen op. 3/5; Seidenschuh auf goldnem Spann op. 2/2; Venedig op. 3/3; Vorfrühling op. 3/2; Irene Erdmann. Herbstlied für Kinder; Dezemberfrühe; Philipp Jarnach. Fünf Gesänge op. 15
Mikhail Timoshenko (Bariton), Elitsa Desseva (Klavier)

hänssler classic HC 24009 (2023)

HörBar<< Hans Gál / Christian Immler

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #121 – Lied 20. Jahrhundert