3. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Santi Gubini – The Black Exposition

Santi Gubini – The Black Exposition
Santi Gubini – The Black Exposition

Der Idee, dass sich das musikalische Material in sich selbst erschöpfe, weil es zu einem anderen Zeitpunkt bis zum letzten Glied in seinem Periodensystem erforscht worden wäre, geht fehl. Der Gedanke läuft leer, weil sich Musik mit ihrer Realisation immer wieder auch neu setzt. Es gibt nicht nur die Elemente des Periodensystems, es gibt auch laufend neue Periodensysteme selbst. Genau genommen ist die Permanenz Neuer Musik unvermeidlich, sosehr sich manches auch wiederholt.

Die Art, Musik zu denken, die Simone Santi Gubini auf diesem Album mit Ersteinspielungen präsentiert, entfaltet ihre Stärke, Wucht und Macht in der Realisation. Die drei Stücke des Albums werden im Wesentlichen vom Ensemble Musikfabrik und weiteren Solisten interpretiert. Werfen wir mal einen Blick in die Komposition «Klangrelief III» aus dem Jahr 2023: Er benennt es ein «Unison Duo für verstärkte Kontrabassklarinette, verstärktes Baritonsaxophon und Fußpedal». Die Musik reißt und kreischt auf in einem Gewitter von kaum kontrollierbaren Multiphonics und Ansatzgeräuschen der Musiker. Es entsteht dabei eine große Fläche, gefüllt mit kleinsten Verwirbelungen poly-ekstatischer Schwellklänge. Im dritten Teil «Matisse» treten die unisono-Ansätze melodischer Fragmente scherenschnittartig ins komponierte Zentrum.

Santi Gubini verbrennt regelrecht seine Klänge. Das passiert noch eklatanter im letzten Werk der Platte: In «Die schwarze Ausstellung» für verstärktes Orchester mit neun Instrumenten und Fußpedal aus dem Jahr 2018 überschlägt sich das gesamte Klangbild des Orchesters in eine Art zerklüfteten und doch beinahe monolithischen grollenden Musik. Das ist wirklich faszinierend. Die klangliche Dichte, die Santi Gubini hier erzeugt, hat etwas von undurchschaubarer Unendlichkeit. Es tun sich dabei immer wieder so etwas wie Risse auf, insgesamt bleibt es wie ein akustischer Knoten aus Energie.

Bei der sprachlichen Umschreibung durch Kritik und Wahrnehmung wird der resultierende Klangprozess nicht ohne semantische Schwierigkeiten als grell-grau rissig von mir wahrgenommen, und zugleich als manifest materiell in einem ganz trivialen Sinn: Die Musik lastet erdenschwer auf einem, so verwirrend komplex auch das jeweilige Bild in sich zerfallen sein mag. Die unvermeidbare «Instabilität des Klanges» durchkreuzt alle vermutlich doch gewünschte Kontrolle des Komponisten, außer derjenigen, dass dabei Zeit vergeht – natürlich, was sonst, unvermeidlich. Das macht die Rezeption vergleichsweise einfach. Und dialektisch steht dem entgegen: Es gibt nichts, was man erhören müsste, weil es sowieso eben, na, klingt. Die Zeit wird aufgehoben. Santi Gubini nennt dieses Verfahren im Kontrast zu Ligetis «Micropolyphonie» «Macropolyphonie». Sei es, wie es ist. Die sinnliche Intensität, die gerade «Die schwarze Ausstellung» erzeugt, ist immens. Man kann sich ihr nicht entziehen.

Den Bezug zur Technik der Improvisation lehnt der Komponist ab. Es ist alles notiert, wie es von ihm gewünscht wird. Das ist verständlich in der Sache der Produktion von Musik, die der Komponist gerne zu umklammern wünscht. Gleichwohl muss er es prinzipiell hinnehmen, dass sich daraus das klingende Ergebnis gegen ihn insofern wendet, als diese totale Kontrolle substanziell nicht gewährbar ist. Der Komponist mag das Rezept zur Verfügung stellen, aber die Musiker:innen kochen und aufgetischt wird bei den Hörer:innen. Eigentlich einfach. Hier gerät das in wunderschöner Weise außer Kontrolle, weil die agierenden Musiker:innen mit ihrer Souveränität diese spezielle Substanzialität entstehen lassen. Kurz: es klingt schlicht und einfach komplett richtig. Musik, die sich nie zu erschöpfen scheint.

Das Angebot, das Santi Gubini uns mit diesen drei Kompositionen macht, wurde übrigens als letzte Produktion vor seinem Abbau im Hans-Rosbaud-Studio in Baden-Baden aufgenommen.


Simone Santi Gubini: The Black Exposition [2024]

  • Schmelzpunkt (2013) – für Flöte, Bassklarinette & zwei Klaviere für einen Spieler – Ensemble Musikfabrik: (Susanne Peters, Flöte · Carl Rosman, Bassklarinette · Benjamin Kobler, Klavier)
  • Klangrelief III (2023) – Unison Duo für verstärkte Kontrabassklarinette, verstärktes Baritonsaxophon und Fußpedal – Carl Rosman, Kontrabassklarinette · Patrick Stadler, Baritonsaxophon · Simone Santi Gubini, Fußpedal
  • Die schwarze Ausstellung (2018) für verstärktes Orchester mit neun Instrumenten und Fußpedal – Ensemble Musikfabrik: (Carl Rosman, Bassklarinette · Joshua Hyde, Baritonsaxophon · James Aylward, Fagott · Rostislav Kozhevnikov & Hannah Weirich, Violine · Dirk Wietheger & Adya Khanna-Fontenla, Violoncello · Florentin Ginot, Kontrabass · Dirk Rothbrust, Schlagzeug · Gregor A. Mayrhofer, Dirigent)

NEOS – NEOS 12403 [VÖ: 26.1.2024]

 

 

 

 

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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