David Matthews (*1943) eröffnet seine Werkeinführung im Booklet mit einer kurzen Reflexion über die Begriffe Sinfonie, Sinfonische Dichtung und Tondichtung, die er nicht bloß ästhetisch betrachtet (abstrakte Werke vs. programmatische Aspekte), sondern auch nach Gewicht und Länge, um jeweils die «angemessene Bezeichnung» zu finden. Er bezieht sich dabei auf Jean Sibelius – so wie auch seine Partituren in manchen Momenten nicht ohne den in England beliebten Finnen zu denken sind. Aber auch ein Werk von Einojuhani Rautavaara scheint Spuren hinterlassen zu haben: der Cantus Arcticus op. 61 (1972) mit den legendären Vogelstimmen scheint Matthews bei der Vision of the Sea (2013) und dem hier nun instrumental nachgebildeten Schrei der Silbermöwen Pate gestanden zu haben.
Auch sonst drängt sich leicht der Eindruck des Eklektischen auf – nicht allein wegen des Wogens in impressionistischer Tonalität, sondern aufgrund vielfacher Allusionen, die auch zu Debussy führen. Doch wäre eine solche Schubladisierung zu einfach. Dazu gibt es auf den britischen Inseln eine viel zu starke Affinität zur traditionellen Sinfonik, die auch mit den verschiedenen Klangkörpern der BBC verbunden ist (bei der 8. Sinfonie von David Matthews handelt es sich um ein Auftragswerk). Es ist daher nicht einfach, den Kompositionen wirklich gerecht zu werden: Ihnen fehlt trotz einer für sich einnehmenden Interpretation gewissermaßen der klare Kurs. Wie aber soll der zustande kommen, wenn die Winde aus wechselnden Richtungen wehen? – Selten hat mich ein Album so inspiriert wie ratlos zurückgelassen.
A Vision of the Sea
David Matthews. Towards Sunrise op. 117 (2011/12); Symphony Nr. 8 op. 131 (2014); Sinfonia op. 67 (1995/96); A Vision of the Sea op. 125 (2013)
BBC Philharmonic Orchestra, Jac van Steen
Signum Records SIGCD 647 (2017)