Die Sechs Bagatellen (1953) und Zehn Stücke (1968) gehören zu den Lieblingen fast jedes Holzbläserquintetts. Nach den «älteren» Werken von Hindemith, Schönberg und Nielsen stehen sie für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fraglos an der Spitze des Repertoires. Vor allem bieten die Kompositionen einen maximalen Spielraum für eigene Interpretationen. Und diesen Spielraum nutzt das Quintette à vent des Siècles auf eine unwiderstehliche Weise. In den viel gespielten Bagatellen durch eine unwiderstehlich pointierte, offene, überraschende und vor allem die ganze Breite der Klangfarbenpalette auskostende Umsetzung, in den nicht mehr von volksmusikalischen Motiven und Elementen getragenen zehn Stücken durch eine technisch brillante Umsetzung, die den Notentext atmosphärisch lebendig werden lässt und intensiv vergegenwärtigt.
Viel seltener ist das Kammerkonzert (1970) zu hören, das die in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre durch Ligeti entwickelten Kompositionsverfahren auf der Ebene eines kleineren Ensembles bündelt. Doch was in Lontano noch wie eine organisch aus sich heraus wachsende und verändernde Klangskulptur wirkt, erscheint im Kammerkonzert viel stärker von Komponisten-Hand geformt. Wie Ligeti aus den nur 13 Instrumentalisten (nicht: Instrumenten) dabei dynamische Kraft und motorische Energie schöpft und sich verlierende Bewegungen, strahlendes Licht und fahle Schatten, harmonische Strukturen und horizontale Linien miteinander verwebt, zeigt seine Unabhängigkeit von allen damaligen Strömungen. Dass hier mit jeder Note, jedem Klang und jeder diastematischen Veränderung Ligetis Originalität und Handschrift wie in einem sich drehenden Kaleidoskop erfahrbar wird, macht diese bereits 2016 entstandene und nun wiederveröffentlichte Produktion unverwechselbar.
György Ligeti. Six Bagatelles for Wind Quintet (1953), Kammerkonzert (1970), Ten Pieces for Wind Quintet (1968)
Les Siècles, François-Xavier Roth
hamonia mundi HMM 905370 (2016)