21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Gruppo Montebello

Gruppo Montebello
Gruppo Montebello
Schon lange sind jene Bearbeitungen kein Geheimtipp mehr, die zwischen 1918 und 1921 für die halböffentlichen Konzerte des von Arnold Schönberg gegründeten Vereins für musikalische Privataufführungen angefertigt wurden. Dort hatte man sich unter Ausschluss der meist lauthals aufschreienden Kritik zusammengefunden, um ohne ästhetische Polemik oder auch politische Ressentiments allein die Musik sprechen zu lassen. Die Regeln waren klar gesetzt: bestmögliche Interpretation durch gründliche Probenarbeit, inhaltlich engagierte Musiker:innen, wiederholte Aufführungen zum besseren Verständnis, das Verbot jeglicher Meinungsäußerungen. Gespielt wurden zunächst bis zu achthändige Klavierauszüge; bald kam indes die Erweiterung zum Kammerensemble, besetzt mit Flöte, Klarinette, Streichquartett und Kontrabass, Klavier und Harmonium. Durch das Harmonium konnte der ganze Bläserapparat klanglich imitiert werden.

Mit der nun schon sechsten Folge widmen sich Henk Guittart und sein Gruppo Montebello (was für ein Name!) dem Repertoire des Vereins – und darüber hinaus. Damit aber verwässert die Serie mehr und mehr und verabschiedet sich deutlich von einer Dokumentation hin zu einem vielteiligen kuratierten Projekt. Nur die wunderbare Bearbeitung von Max Regers Romantischer Suite op. 125 darf in diesem Vereins-Kontext Authentizität beanspruchen, obwohl auch hier Henk Guittart revidierend eingriff (in welchem Maße, ist nicht zu ersehen). Von Zemlinskys hochreifem 23. Psalm op. 14 hatte einst Erwin Stein eine Kammerfassung erstellt, die aber nie aufgeführt wurde; auf dem Album jedoch erklingt eine neue Bearbeitung von Guittart, wie auch im Fall von Weberns Passacaglia op. 1 – zwei von Weberns Lied-Opera (op. 8 und op. 13) erklingen gar im Original (sie entstanden zwar im zeitlichen Horizont des Vereins, kamen dort aber auch nicht zu Gehör). Warum muss das so betont werden? Weil Puristen eine Enttäuschung droht. Musikalisch aber verstehen es Henk Guittart und Gruppo Montebello reichlich zu punkten mit einer Interpretation, die sicheren Gangs den schmalen Grat zwischen Kammer- und Orchestermusik beschreitet. Da klingt dann auch der von mir favorisierte Reger plötzlich durchlässig und heiter – und verliert dennoch etwas von seiner harmonischen Dichte.

Gruppo Montebello. Verein für musikalische Privataufführungen Vol. 6
Max Reger. Eine romantische Suite op. 125 (arr. für Kammerensemble von Arnold Schönberg, Rudolf Kolisch, rev. von Henk Guittart); Anton Webern. Passacaglia op. 1 (arr. für Kammerensemble von Henk Guittart); Zwei Lieder op. 8; Vier Lieder op. 13; Alexander Zemlinsky: Psalm 23 op. 14 (arr. für Kammerensemble von Henk Guittart)
Gruppo Montebello, Henk Guittart

et’cetera KTC 1647

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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