Es ist erstaunlich, wie Solisten, Ensembles und Orchester in der Regel einer beständigen Veränderung ihrer musikalischen Sichtweise unterliegen. Ob sie es selbst im aktuellen Prozess bemerken, sei dahingestellt; eher dürfte der Beobachter von außen neue Wendungen bemerken, die womöglich in einen Umschwung münden werden – letztlich ergeht es einem selbst auch bei aller Reflexion ebenso. Erst später erscheint oft alles klar. Wenn ich ein paar Jahrzehnte zurückdenke, dann fallen mir sofort einige Orchester ein (vorzugsweise der historisch informierten Aufführungspraxis), die bis zu einem gewissen Punkt interpretatorisch Hervorragendes leisteten, sich in den Dienst des Werkes oder Komponisten stellten und sich selbst trotz allen Engagements zurücknahmen – bis dann doch irgendwann ein spezifischer Manierismus obsiegte.
Nun mag ich kein Orakel sein, aber ich sehe das unter der Leitung von Julien Chauvin stehende Ensemble Le Concert de la Loge gefährlich nah an dieser Schwelle, und zwar mit einer erschütternd kurzen Halbwertszeit. Noch vor wenigen Monaten faszinierte mich die forsche Einspielung der Figaro-Ouvertüre und der Jupiter-Sinfonie, kombiniert mit einer ingeniösen Sicht auf das Violinkonzert G-Dur KV 216 (ebenfalls beim Label Alpha). Nun scheint manches davon bereits zur Marotte geronnen – jedenfalls wirkt die Ouvertüre unter der muskulösen Oberfläche eigentümlich kraftlos und ohne die notwendige abgründige Tiefenschärfe, die Sinfonie g-Moll gar insgesamt zu gefällig, wenn die piano-Passagen fast beiläufig anmuten, das Klangbild aber erst im Tutti Gestalt annimmt. Man muss auch nicht unbedingt das molto und assai in den Tempovorschriften der Ecksätze mit den Erfahrungen des 20./21. Jahrhunderts wörtlich nehmen, gerade wenn mit dieser manierierten Haltung am Ende die Partituren ruppig dekonstruieren (womöglich war dies aber bei der Ausarbeitung der Interpretation gar nicht beabsichtigt). Überraschenderweise «passt» es dann im Klavierkonzert KV 488, wenn das Concert de la Loge und Andreas Staier in einer Art und Weise zusammenfinden, die den Solisten auch bei einer «Blindverkostung» sofort kenntlich macht. – Wie also weiter? Mit zunehmend gemischten Gefühlen sehe ich schon auf die sich ankündigende Sinfonie Es-Dur KV 543. Werde ich dann die nächste Rezension mit einem «schade» abschließen müssen?
Wolfgang Amadeus Mozart. Ouvertüre zur Oper Don Giovanni KV 527; Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488; Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550
Andreas Staier (Pianoforte), Le Concert de la Loge, Julien Chauvin
Alpha ALP 875 (2021)