21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Enso – Strings & Percussion

Enso – Strings & Percussion
Enso – Strings & Percussion

Eine Musik der Geduld, eine Musik der Freundlichkeit. Eine Musik, die wie eine große Einladung an das Hörorgan und seine diese Signale verarbeitenden Nervenzellen zu verstehen ist. Es beginnt mit wenig: Ein tiefer Streicher (Stefan Schönegg am Kontrabass) spielt lange sukzessiv erklingende gestrichene Einzeltöne, die aus dem Nichts zu kommen scheinen und selbst auf dem Rand der akustischen Wahrnehmbarkeit vibrationslos schwanken, die Tonregion neigt sich zunächst im Wankelschritt abwärts, ehe sie wieder länger steigt. Die Intervalle sind eher klein. Eine wunderschön modulierte Musik mit Schrammen, nicht poliert und lackiert. Erst nach knapp vier Minuten gesellt sich eine zweite Stimme hinzu, das Cello von Judith Hamann. Zweiklänge jetzt im gleichen Tempo. Nach weiteren vier Minuten tritt die Violine von Kari Rønnekleiv dazu. Dreiklänge nun. Sul tasto? Also weit am Griffbrett gestrichen, geräuschhaft das Ganze. Man hat Zeit sich an diese Musik zu gewöhnen, wächst gleichsam vegetativ mit ihr mit.

«Canyon» heißt dieses insgesamt 23-minütige Stück. Ab Minute 15 stampft und schnaubt es. Der Kontrabass wird zum Geräuschinstrument mit Tonanteilen. Etienne Nillesen an der extendend Snare Drum und Toma Gouband an den Lithophonen treten hinzu. Schleifgeräusche nehmen insgesamt zu, doch die gehörte Zeit gerät nicht aus den Fugen. Ein Puls(en) bleibt bemerkbar. Überraschende Generalpausen kurz vor Schluss, die keine sind.

Man hat Zeit sich an diese Musik zu gewöhnen,
wächst gleichsam vegetativ mit ihr mit.

Das zweite Stück «Valley» ganz anders im Aufbau, in der Durchgestaltung. Der musikalische Grundgedanke ist aber durchaus ähnlich. Die Faktur ist dünn und durchlässig für die Luft des Nichtzumklanggebrachten. Man kann das «Nichts» hören, das sich über den Nachklang und Hall legt, der aus den Klangimpulsen aus Stein erzeugt wird – begleitet von Bändern aus «Ton» in den Streichern. Es beginnt mit wenig, es endet mit wenig, es bleibt viel.

Wir hören hier eine Musik, die allein auf das fokussiert ist, was an ihr akustische Kunst ist. Wie mit dem Gesetz der Schwerkraft, holt sie die Hörenden andauernd wieder zurück in ihren Ton-Klang-Geräusch-Bann. Die Freiheit, die sie den Zuhörenden (ja eigentlich sind es umgekehrt eher Auf/Mit/Nachhorchende) dabei lässt, ist durch und durch freundlich und selbstgefährlich; daher mutig an diejenigen denkend, die den kognitiven Resonanzraum für diese Musik bilden: die Hörenden nämlich. Man könnte dabei die Klangflucht ergreifen und sich Verlierengehenlassen in der Weite musikalischer Schwerelosigkeit. Aber das fällt gleichwohl sehr schwer, wenn man sich ganz einfindet und die Musik ein zweites mal erzeugen kann, durch Hören. Man kann sich gewissermaßen das Maß selbst wählen, mit dem man sich bei dieser Musik überfordert fühlen möchte – oder eben nicht. Das ist ein großartiges Gefühl.


Enso: Strings & Percussion [2022]

  • Kari Rønnekleiv – Violin
  • Judith Hamann – Cello
  • Stefan Schönegg – Double bass
  • Etienne Nillesen – Extended snare drum
  • Toma Gouband – Lithophone

impakt Köln (1.12.2022) – als Vinyl.

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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hoerbar_nmz

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