21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Vivaldi / Le Concert de la Loge

Vivaldi / Le Concert de la Loge
Vivaldi / Le Concert de la Loge
Die sich mit beeindruckender Kontinuität seit Jahren entwickelnde Vivaldi-Edition des französischen Labels Naïve überrascht auch in der 69. Folge. Das liegt zum einen an den verschiedenen Ensembles, die sich auf immer wieder neue und andere Weise dem schier unendlich anmutenden Werkbestand nähern – und dabei recht unterschiedliche Perspektiven entwickelt haben. In diesem Fall (es ist derweil die 10. Folge mit Violinkonzerten) ging der Stab an Julien Chauvin und das Ensemble Le Concert de la Loge – wahrlich keine schlechte Wahl. Und ich gestehe gern, dass das Ensemble bei mir schon länger hoch im Kurs steht. Wem es noch nicht aufgefallen ist: Die Formation hat gegenüber ihrem Gründungsnamen auf das musikgeschichtlich sehr historische „Loge Olympique“ auf Druck des Französischen Olympischen Komitees (das wohl erst gar nicht nach dem verbürgten Pariser Vorbild fragte) verzichten müssen. Da bin ich selbst gespannt, wann die (noch hypothetischen) „Vertreter der Erzengel auf Erden“ mir meinen Vornamen verbieten werden.

Die eingespielten sechs Konzerte bieten jedenfalls eine wunderbare Schau auf Werke aus Vivaldis Feder, die keinesfalls «von der Stange» sind. Es mag wohl an Johann Georg Pisendel (1687–1755) gelegen haben, der 1716/17 im Gefolge des sächsischen Kronprinzen in Venedig beim «prete rosso» studierte – und einige Autographe oder eigene, heute singuläre Abschriften mit nach Dresden nahm; Kennern werden beim Stichwort «Schrank II» die Ohren klingeln, andere können gerne danach googeln und ins Staunen geraten. Schon nach Umfang und Gewicht stellen die Konzerte eine Besonderheit dar. Natürlich ist Vivaldi mit seinem unverwechselbaren Stil, seinen Motiven, Themen und rhythmischen Modellen sofort zu erkennen – und dennoch scheint der Typus für Pisendel in all den Kadenzen, harmonischen Ausweichungen und Klangfarben transzendiert. Dass dies auch interpretatorisch erfahrbar wird, zeigen Julien Chauvin und das Concert de la Loge in dieser hochklassigen Einspielung, die hinsichtlich der souveränen spieltechnischen Umsetzung wie auch der gestalterischen Konstanz (im Ganzen wie im Detail) keine Wünsche offen lässt. Dennoch bleibt es um und mit Vivaldi (auch mit den Dresdner Erweiterungen um Bläserstimmen) weiterhin sehr spannend.

Concerti per Violino X „Intorno a Pisendel“.
Antonio Vivaldi. Violinkonzerte G-Dur RV 314, D-Dur RV 226, B-Dur RV 369, d-Moll RV 237, D-Dur RV 225, A-Dur RV 340
Julien Chauvin (Violine), Le Concert de la Loge

Naïve OP 7546 (2021)

HörBarConcertos / Ensemble Diderot >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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