Zu Beginn ein Blick zurück. Als vor fünf Jahren (2017) John Adams seinen 70. Geburtstag feierte, erschien auf dem Eigenlabel der Berliner Philharmoniker eine jener opulent ausgestatteten querformatigen Boxen, über die man in der eigenen Sammlung unweigerlich immer wieder stolpert: wegen des inkompatiblen Formats, wegen der herausragenden Ausstattung und wegen des sich darin verkörpernden künstlerischen Anspruchs. In diesem Fall wurden Aufführungen all jener Werke dokumentiert, die in der Saison 2016/17 in der Philharmonie erklangen, als John Adams als erster offizieller «Composer in Residence» zwar kein neues Werk präsentierte, wohl aber mit Harmonielehre und Scheherazade.2 zwei seiner gewichtigen Partituren dirigierte.
Die damalige Werkauswahl ist noch heute gleichermaßen naheliegend wie überraschend: So handelt es sich bei dem furiosen Short Ride in a Fast Machine und dem tänzelnden Lollapalooza um musikalische Selbstläufer, während das knapp zweieinhalbstündige Passionsoratorium The Gospel According to the Other Mary Adams von einer ganz anderen Seite zeigt – nämlich Jahrzehnte später in seiner kompositorischen Entwicklung. Ohnehin hatte er sich schon früh und vollkommen undogmatisch aus der «minimal music» herausentwickelt, mit deren Verfahren er zwar kompositorisch arbeitete, sich ihnen jedoch keineswegs unterwarf oder in einen stilistischen Stillstand begab. Bleibt die Frage nach der Interpretation einer Musik, die gleichermaßen höchste Präzision wie freies Fließen verlangt. Ersteres steht bei den Berliner Philharmonikern außer Frage. Allerdings mutet der Short Ride auch unter Alan Gilbert eher wie ein preußischer Geschwindmarsch an, ebenso empfinde ich die Harmonielehre unter Adams eher kraftstrotzend und keineswegs als poetisches, sich in wechselnden Farben präsentierendes «big picture» für großes Orchester. Selbst die Passion bleibt unter Simon Rattle merkwürdig blass und ohne Atmosphäre. Und dennoch: Die Box punktet fraglos bei den Blue-rays mit den Konzertmitschnitten und zusätzlichen Interviews, die noch immer hohen dokumentarischen Werk besitzen.
John Adams. Harmonielehre (1984/85); Short Ride in a Fast Machine (1986); City Noir (2009); Lollapalooza (1995); Scheherazade.2 (2014/15); The Wound-Dresser (1988/89); The Gospel According to the Other Mary (2011/12). – plus Blu-rays mit Konzertmitschnitten, John Adams in Conversation with Sarah Willis, Dokumentation «Short Rides with John Adams», John Adams in Conversation with Peter Sellars
Kelley O’Connor (Mezzo), Tamara Mumford (Mezzo), Daniel Bubeck (Countertenor), Brian Cummings (Countertenor), Nathan Medley (Countertenor), Peter Hoare (Tenor), Leila Josefowicz (Violine), Rundfunkchor Berlin, Berliner Philharmoniker, John Adams, Alan Gilbert, Gustavo Dudamel, Kirill Petrenko, Simon Rattle
Berliner Philharmoniker BPHR 170141 (2016/17)