21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Josef Schelb

Josef Schelb
Josef Schelb
Die Musik des Komponisten Josef Schelb (1894–1977) dürfte bisher den wenigsten überhaupt einmal begegnet sein. Kaum etwas aus seinem umfangreichen Œuvre liegt eingespielt vor – dabei ist sein Schaffen mit Opern, Balletten, nicht weniger als 11 Sinfonien, weiteren Kompositionen für Orchester, Kammer- und Klaviermusik sehr breit aufgestellt. Noch dazu hat Schelb eine sehr eigene musikalische Sprache entwickelt, die sich fast jeder Schubladisierung entzieht – was ihn wirklich interessant macht: Sie verfügt über eine gewisse französische Farbigkeit wie auch über eine polyphone Führung der Stimmen. Harmonisch frei, bleibt Schelb gleichwohl der Idee eines Zentraltons und gewichtender Klangspannungen verbunden: Kaum anders ist es möglich, das Changieren der unterschiedlichen Charaktere zu verstehen, die einmal fast spätromantischen Gestus annehmen, ein anderes Mal sich linear entfalten. Da seine «Atonalität» tonal gebunden ist, macht es mich keineswegs froh, wenn Schelb jun. im Booklet gutwillig und doch wenig hilfreich von Impressionismus, Expressionismus, Atonalität und Dodekaphonie schreibt und damit unnötig polarisiert. Man sollte die Musik besser erst hören und sich dann – vermutlich nach wirklich passenden Worten suchend – ein eigenes Urteil bilden.

Dennoch ist es erstaunlich, dass Schelb noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sich an traditionellen Gattungen und Besetzungen orientierte, seine Satzfolgen, Satzformen und Ausdruckscharaktere auch kein ausgewiesenes Neuland betreten – und er damit einen traditionellen Werkbegriff fortschreibt, den Entwicklungen der Nachkriegs-Avantgarde zum Trotz. Gerade dies jedoch macht die Musik von Josef Schelb so erstaunlich, dass man der hier vorgelegten Kammermusik folgt und sich wiederholt mit ihr auseinandersetzen mag. Dazu beigetragen hat aber auch das um Oliver Triendl versammelte Ensemble mit fertig ausgehörten Interpretationen und einem runden Klang. Eine bemerkenswerte terra incognita.

Josef Schelb. Klaviertrio Nr. 2 (1954); Quartett für Violine, Horn, Violoncello und Klavier (1962); Klavierquintett (1970)
Radovan Vlatković (Horn), Daniel Gaede (Violine), Nina Karmon (Violine), Hariolf Schlichtig (Viola), Samuel Lutzker (Violoncello), Oliver Triendl (Klavier)

hänssler classic HC 22015 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #059 – Klavierkammermusik

Ein Kommentar

  1. Es gibt eine sehr schöne CD mit den Orgelwerken Schelbs, eingespielt von Martin Schmeding und veröffentlicht beim Label Ars Produktion.

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