21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Viktor Orri Árnason

Viktor Orri Árnason
Viktor Orri Árnason
Es gab Zeiten, in denen wurden Landschaften, mitunter gar ganze Welten in Sinfonien entworfen – in einem wundervollen Spagat zwischen traditioneller Gattung und persönlicher Ausdeutung. Entstanden sind dabei Partituren von Weltrang, die noch immer faszinieren, die zum Nachdenken oder Träumen anregen, zu Tränen anrühren. Im hochmusikalischen Norden hat es wohl allein Finnland geschafft, sich rechtzeitig aus der stilistischen Falle der Nationalromantk zu befreien – ausgerechnet im überlangen Schatten von Sibelius. Auf Island musste man sich gar nicht erst absetzen: Das Land war terra incognita – und Jón Leifs gelang es schon früh auf einzigartige unverstandene Weise, die erhabenen Extreme der Landschaft so abzubilden, dass sie sowohl im Konzertsaal wie auch unterm Kopfhörer erschüttern – zugleich aber auch einem sehr eigenen Personalstil folgen.

All dies kann einem durch den Kopf gehen, folgt man Viktor Orri Árnason auf seiner Reise zu großen Themen: «Sparked by the realisation that medical advances will soon eradicate death by natural causes, Eilífur weaves together a lucid, near-future narrative via a combination of abstract Icelandic lyrics and adept musical storytelling.» Nichts Geringeres als die Überwindung des Todes und die damit verbundene Frage nach der Vergänglichkeit der Zeit steht damit im Zentrum dieser in neun Tracks und 45 Minuten ablaufenden Soundscapes. Ein wenig mystische Lyrik, Blechbläser-Echos aus Wagners Nibelheim, dazu noch basslastiges Surren, Grummeln und Murmeln – das reicht indes nicht aus, auch nur annähernd etwas (be)greifbar zu machen, dass aktuell weiter in der Zukunft als in der nahen Gegenwart liegt. Der Anspruch von Viktor Orri Árnason ist erstaunlich, das Ergebnis freilich ernüchternd. Von der Reise durch die Klänge bleibt nichts haften außer der zugegebenermaßen nur flüchtigen Vorstellung eines Gefühls der persönlichen Annäherung – wie auch immer. Dabei fordern die angesprochenen Themen verbindliche künstlerische Marksteine zur Orientierung. Der Weg ist noch weit…

Viktor Orri Árnason. Eilífur
Pentatone PTC 5186 950 (2018/19)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #055 – Island