Man darf immer wieder einmal überrascht sein, was sich die Repertoire-Strategen bei der Deutschen Grammophon ausdenken. Schon früher gab es einige Überraschungen im Katalog, so etwa Allan Petterssons 8. Sinfonie mit dem Baltimore Symphony Orchestra und Sergiu Comissiona – schon im Jahre 1980 kein Chartbreaker. Auch heute darf man sich wieder verwundert die Augen reiben, dass es Florence Price (1887–1953) und zwei ihrer Sinfonien auf das legendäre Gelb-Label geschafft haben. Doch die Situation ist jetzt anders; noch vor gar nicht so langer Zeit hätte diese Kombination nicht «gepasst». Nun aber scheint der Wind günstig zu stehen für eine Komponistin, die bereits zu Lebzeiten sehr wohl um ihre Situation wusste: «Ich habe zwei Handicaps: mein Geschlecht und meine Rasse – ich bin eine Frau und in meinen Adern fließt schwarzes Blut.» Aus der einstigen doppelten Ausgrenzung vom Konzertsaal werden heute Erfolge geschmiedet. Doch es lohnt sich, genauer hinzusehen. Auch wenn im Booklet eine Reihe von weiteren Einspielungen angekündigt wird und erst 2009 auf dem Dachboden des ehemaligen Sommerhauses der Komponistin bündelweise verloren geglaubte Manuskripte aufgetaucht sind: Beide hier eingespielten Sinfonien sind seit 2008 in einer Notenausgabe verfügbar und wurden bereits vor längerer Zeit als Raritäten eingespielt (die Homepage der Wise-Verlagsgruppe gibt Auskunft). Und eine Naxos-Einspielung der 3. Sinfonie wurde ein Corona-Opfer: Mitten im Scherzo musste am 12. März 2020 die Produktion abgebrochen werden und ruhte dann über ein Jahr…
Auf eine ideale Aufnahme der Sinfonien wird man allerdings auch weiterhin warten müssen. Nicht dass es Yannick Nézet-Séguin und seinem Philadelphia Orchestra an professionellem Enthusiasmus fehlen würde. Es ist die durchgehend dumpfe, seltsam indifferente, geradezu schwammige Akustik, die der Produktion zusetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass man den Partituren mit ihren eher reihend angelegten Teilen wie auch der kompakten Instrumentation nicht gänzlich vertraute und sie daher lieber al fresco einfing. Darüber hinaus schwingt sich im Finale der 3. Sinfonie ein Dröhnen auf… Ein klanglich enttäuschendes Album, das den Werken damit keinen Gefallen getan hat. Denn diese müssen sich ohnehin selbst bewähren: Die Dvořák-Verweise in der Sinfonie Nr. 1 sind so verblüffend wie ehrlich und zeigen damit verspätet das Potential, das dieser Ende des 19. Jahrhunderts an der Westküste ausgelegt hatte. Eine interessante Spurensuche in der «Neuen Welt».
Florence Price. Sinfonie Nr. 1 e-Moll (1931); Sinfonie Nr. 3 c-Moll (1940)
The Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin
Deutsche Grammophon 486 2029 (2021)
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