21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Robert Kahn / Kammermusik

Robert Kahn / Kammermusik
Robert Kahn / Kammermusik

Wie aus der Zeit gefallen wirken die Kompositionen von Robert Kahn (1865–1951), der einst bei Friedrich Kiel und Josef Rheinberger sein Handwerk lernte. Prägend wurde für ihn und sein Schaffen eine Begegnung mit Johannes Brahms im Jahre 1886, was auch heute noch in fast jedem Takt unüberhörbar ist. Genau dieser Umstand machte Kahn indes während der 1920er Jahre zu einem «Konservativen», der ab 1933 wegen seines jüdischen Glaubens auch als angesehener Kammermusiker aus dem öffentlichen Musikleben verbannt war, 1938 nach England emigrieren konnte und schließlich gänzlich vergessen wurde.

Auch wenn in den letzten Jahren einige seiner Werke eingespielt wurden, so dürfte sein Name dennoch erst wenigen bekannt sein. Musikalisch mutet das späte Œuvre wie eine Extra-Verlängerung des ohnehin langen 19. Jahrhunderts an – gehört doch Kahn zu jenen Komponisten, die den Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg nicht mitgehen konnten (oder auch wollten), die aber ohne eigene kraftvolle Innovationen, doch von der Gnade eines langen Lebens gesegnet lediglich das alte Erbe aktiv verwalteten; Kahn starb nur ein Jahr, bevor Boulez (auch im übertragenen Sinne) Schönberg für tot erklärte.

Dass die Musik von Robert Kahn nun auch Freunde in London gefunden hat, ist daher doppelt erfreulich – wegen der damit offenkundigen internationalen Neugier und der gewichtigen Ersteinspielung des Klavierquintetts (1911), das nicht in der lediglich alternativ geforderten Standardbesetzung gespielt wird, sondern in der weitaus reizvolleren originalen mit Klarinette (statt zweiter Violine) und Horn (statt Viola). Aufgrund des sehr flüssigen und keineswegs bart-behangenen Spiels des Ensemble Émigré handelt es sich dabei auch um den wichtigsten Teil der Produktion. Denn die ausgewählten Lieder weisen teilweise bis auf Schubert zurück (der «Liebesbrief» erinnert an dessen «Taubenpost»), die späten Klavierstücke des musikalischen Tagebuchs stehen vollkommen entzeitlicht da. Schade nur, dass das begleitende Klavier vor den betont lyrischen Tenor von Norbert Meyn gerückt wird.


Robert Kahn:

  • Romanze f-Moll op. 25/1,
  • ’s ist ein so stiller, heiliger Tag op. 27/2,
  • Novemberfeier op. 20/2,
  • Idyll op. 52/1,
  • Liebestrost op. 42/10,
  • 10 Stücke aus Tagebuch in Tönen,
  • Liebesbrief op. 31/2, Die Unke op. 31/8,
  • Feuerbestattung op. 38/5,
  • Gebet op. 47/9,
  • Klavierquintett c-Moll op. 54

Ensemble Émigré

Rubicon RCD 1040 (2018/19)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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