Kann virtuose musikalische Artistik bedrücken? Ja. Selbstverständlich. Messiaens «Quatuor pour la fin du temps» zeigt das ebenso wie eine Alban Bergs «Lyrische Suite» für Streichquartett oder «Die Soldaten» von Bernd Alois Zimmermann. Das Schöne im Ton findet seine Resonanz im Körper der Hörenden.
Das Cover der Aufnahme dieses Quartetts zeigt im Zentrum eine Person, gemalt an die Mauer, die in Israel Welten trennt, auf Abstand halten soll. Zur Kunst gehört die Differenz so wie die Einheit. Deutlich spürt man die Gleichzeitigkeit in dem letzten Stück der Platte «Darwich dans la ville», wo über einem kaputtklingenden Dauerbeat des Schlagzeugs sich Linien der anderen Musiker ausspinnen. In einer Art ist da ein Gefangensein, die Schwere von erdigem Körper, die die Solisten gravitiert.
Die Musik wirkt dagegen perforiert, angegriffen und angegangen. Sie kann die Weltschwierigkeiten natürlich nicht auflösen. Sie ist gezwungen, artistisch zu scheitern. Das macht das Zuhören mühsam und man klammert sich wie ein Ertrinkender an jeden akustischen Strohhalm – und rutscht wieder ab. Das hat gleichwohl etwas Befreiendes, weil es nichts versöhnt und beschönt. Musikalische Ruinen! «La Dame de Martigues» versucht sich da fast schon glättend in poetischer Weite, als ein Chanson-Rest aus Klangesglück im Zusammenspiel der vier Musiker. Wunderschön, wie eine Postkarte auf Papyrus.
Dazu ein Booklet ganz eigenen künstlerischen Ausdrucks mit Fotos von «Characters On A Wall» von Ernest Pignon-Ernest.
Louis Sclavis: Characters On A Wall (2019)
ECM 2645Featured Artists
– Louis Sclavis – Clarinets
– Benjamin Moussay – Piano
– Sarah Murcia – Double Bass
– Christophe Lavergne – Drums